Die Fleischpflanzer im Hoodie ernten Millionen

Die Fleischpflanzer im Hoodie ernten Millionen

Im vierten Jahr nach seiner Gründung hat das Planted bereits mehr als 200 Mitarbeitende, auch Investoren sind begeistert. Dabei ist die Technologie gar «nicht revolutionär». Ein Besuch.

Der Geschmack: nahe am Omelett. Das Chicken-Filet – eine ganze vegane Pouletbrust aus Erbsenproteinen – ist die neuste Erfindung aus dem Labor von Planted in Kemptthal bei Winterthur. Im Restaurant Brenso beim Zürcher Helvetiaplatz serviert Lorenzo Dal Bo den Fleischersatz momentan als Teil des vegetarischen Überraschungsmenüs mit Bohnen und Salsa verde. «Es schmeckt nicht wie ein richtiges Hühnerfilet», sagt der Küchenchef. Aber es sei vom Geschmack und von der Textur her eine gute Alternative für alle, die ihre Esstraditionen nicht aufgeben wollten.

Die Firma Planted ist mit ihren Fleischalternativen sehr erfolgreich. Vor vier Jahren an der ETH gegründet, hat Planted heute über 200 Mitarbeitende, und sie hat so viel Risikokapital aufgenommen wie keine andere Firma für pflanzliches Fleisch in Europa. An mehr als 6500 Standorten gibt es die Planted-Produkte bereits: von Zürcher Kebab-Läden über deutsche Zugrestaurants bis zu französischen Supermarktketten.

Wer steckt hinter dem Start-up, das Freitag, On und sogar Tesla als Vorbild nennt? Und warum sind die Gründerinnen mit einer Technologie erfolgreich, die es schon lange gibt?

Eine Nerdin und ein Wirtschaftler

Dr. Judith Wemmer trägt On-Schuhe und spricht über die Saftigkeit von Würsten. Der Firmensitz von Planted liegt im «The Valley» in Kemptthal. Auf dem Gebiet der ehemaligen Maggi-Fabrik sind viele Start-ups in Backsteinhäuser eingezogen. Im Showroom von Planted hängen Holzschaukeln von der Decke.


Wemmer, Mitgründerin der Firma, stellt im Frühling Journalistinnen die vegane Bratwurst vor. Zwei bis drei Innovationen pro Jahr bringt Planted heraus. «Der Goldstandard ist die Olma-Wurst», sagt Judith Wemmer. Wenn sie am Sternen-Grill in Zürich vorbeigehe, falle es ihr schwer, keine richtige Wurst zu bestellen. Planted habe sich bei der Erfindung der veganen Wurst bei der Fleischindustrie inspirieren lassen. Mehr als 70 Prozent Wasser und CO₂ spart die Wurst gegenüber dem tierischen Gegenstück. 

Nach der Präsentation im Showroom grilliert ein Planted-Mitarbeiter die Bratwürste aus Erbsenprotein auf dem Grill. Sie sind gerade und nicht krumm, weil es Judith Wemmer und ihrem Team noch nicht gelungen ist, einen tierischen Darm nachzuahmen. Pascal Bieri, Mitgründer, ebenfalls in On-Schuhen, kommt dazu, filmt den Grill mit seinem Smartphone. Wemmer ist bei Planted die Wissenschaftsnerdin, Bieri der Wirtschaftler. Wemmer spricht über Verdickungsmittel wie Carrageen bei Konkurrenzprodukten. Der 37-Jährige sagt «Turnaround» und «Retail».

Im Hoodie über Millionen reden

Mit 21 Jahren kandidierte Pascal Bieri für die Luzerner GLP als Nationalrat. Er studierte an der HSG, arbeitete dann für Chocolat Frey in den USA und entdeckte erste Fleischersatzprodukte in den Supermärkten, an denen ihn jedoch die Zutaten störten. «Dann fragte ich Luki, meinen Cousin: Können wir nicht aus natürlichen Zutaten ein pflanzliches Fleisch machen?»

Lukas Böni studierte an der ETH, doktorierte gerade zu Aalproteinen. Judith Wemmer und Christoph Jenny kamen zum Team hinzu. Zusammen tüftelten sie im ETH-Labor und gründeten 2019 Planted. Schon an der Universität produzierten sie eine Tonne veganes Chicken pro Tag und machten ihre erste Million Umsatz.

Wenn Pascal Bieri im grünen Hoodie von «Luki» und dem Labor erzählt, geht beinahe unter, wie wertvoll diese Firma heute ist. Im vergangenen Sommer brachte eine Finanzierungsrunde 70 Millionen Franken ein. Am meisten investierte der amerikanische Konzern L Catterton, an dem auch die Mutterfirma von Louis Vuitton beteiligt ist.


Auch Fussballer Yann Sommer beteiligte sich am Unternehmen. Wenn er über die Planted-Gründerinnen spricht, klingt das wie bei einem SRF-Interview zum Zusammenzug der Fussballnati. «Ich spüre die Leidenschaft», sagt Sommer. Die Motivation sei gross.

Wie gesund ist der Fleischersatz?

Bei dieser Euphorie und dem raschen Wachstum überrascht, dass die Technologie von Planted nicht neu ist. Das Extrusionsverfahren, bei dem eine Art Mixer Proteine mit Wasser und Öl knetet, erhitzt und zu einem Teig formt, gibt es schon seit Jahrzehnten. «Die Technologie von Planted ist nicht revolutionär», sagt Michael Beyrer, der an der Fachhochschule Westschweiz forscht. Planted habe ein paar Stellschrauben im Prozess in die richtige Richtung bewegt und das Produkt im geeigneten Moment lanciert.

Das sagt auch Christine Brombach von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Fleischalternativen gebe es schon lange. «Sie waren früher oft altmodisch verpackt, bröselig und schmeckten häufig wie Vogelfutter.» Das Timing von Planted sei ideal gewesen. Corona, Klimakrise, Ukraine-Krieg – der Krisenmodus habe viele hilflos gemacht.

Bei der Ernährung könne man wenigsten ein bisschen etwas tun, sagt Brombach. «Nach dem Motto: Ich habe keine Lust, mich auf die Strasse zu kleben, aber ich esse vegan.» Planted spreche mit hippem Marketing eine junge urbane Zielgruppe an. Genuss trotz Verzicht. Easy Zubereitung.

Anekdote zur Beliebtheit von Planted in der Kulturszene: Eine Band, die eigens für das alternative Musikfestival B-Sides in Kriens ein Set zusammenstellte, gab sich den temporären Namen «Das gerupfte Planted Chicken an Himbeeren Sauce Orchester». Und die Zürcher Nationalrätin Meret Schneider schwärmte in einer Kolumne über «die Pioniere aus Kemptthal». Grüne klingen selten so, wenn sie über millionenschwere Unternehmen sprechen.

Christine Brombach von der ZHAW glaubt, dass der Markt für Fleischalternativen weiterhin wachsen wird. Doch das Image von hoch verarbeiteten Produkten sei nicht nur gut. Eine vegane Bratwurst sei zwar ethisch und bezüglich CO₂-Ausstoss klar überlegen. «Aber sind diese Produkte auch gesünder?» Dazu gebe es noch keine langfristigen Studien, sagt Brombach.

So teuer wie Biofleisch

Michael Siegrist, der an der ETH zum Konsumverhalten forscht, ist noch skeptischer. «Was Planted herstellt, wird ein Nischenprodukt bleiben», sagt er. Im Zürcher Supermarkt sieht es zwar nach einem Boom aus. Aber noch immer machen Fleischalternativen in der Schweiz nur knapp drei Prozent des gesamten Fleischmarkts aus. Internationale Planted-Konkurrenten wie Beyond Meat verlieren an der Börse. Die Nachfrage nach Fleischersatzprodukten habe sich auf hohem Niveau stabilisiert, sagte Coop kürzlich zu Watson.

Dazu kommt die Inflation. Die Preise der Planted-Produkte sind etwa so hoch wie jene von Biofleisch, und damit handelt es sich schon um Luxusprodukte. Und dann gibt es auch noch Konkurrenten, die im Labor mit Zellen Fleisch herstellen und auf den Markt bringen wollen.

«Planted muss den Preis massiv nach unten bringen und Innovationen präsentieren, um ausserhalb des urbanen Milieus eine Chance zu haben», sagt Michael Siegrist. Er glaube nicht, dass es in absehbarer Zeit möglich sein werde, zum Beispiel eine Steak-Alternative herzustellen.

Bei der Bratwurst-Degustation in Kemptthal zeigt Judith Wemmer auf dem Smartphone einen Prototyp eines pflanzlichen Steaks. Die Schweizerische Agentur für Innovationsförderung, Innosuisse, unterstützt die Forschung daran mit mehr als zwei Millionen Franken.

Das Durchschnittsalter ist 32

Einen Monat nach der Bratwurst-Präsentation testet Judith Wemmer in den Niederlanden eine Maschine. Sie schaltet sich per Videocall nach Kemptthal zu. Pascal Bieri sitzt in kurzen Hosen im Sitzungszimmer. «Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass unsere Produkte in Effretikon so gut laufen wie am Bahnhof Zürich», sagt Bieri. Dennoch finde er die Einschätzungen der Wissenschaftler pessimistisch. Die Technologie sei noch ganz am Anfang. «Wir stellen erst Nokia-Knochen her und noch keine Smartphones.» Die Produkte würden in Zukunft geschmacklich und preislich immer attraktiver.

Judith Wemmer sagt, dass die Fleischlobby immer noch sehr stark sei. Tierisches Fleisch müsse in der Schweiz viel teurer werden. «Da muss die Politik etwas machen.» Das negative Image von hoch verarbeiteten Produkten nimmt sie ernst. «Wir müssen viel in die Aufklärung investieren.» Dazu gehöre zum Beispiel die Produktionshalle in Kemptthal, die in einem transparenten Glashaus untergebracht ist.

Später sagen beide Planted-Gründer, dass das schnelle Wachstum nötig sei, um wirklich etwas zu verändern. Pascal Bieri sagt: «Wenn wir in der Welt wirklich etwas bewegen wollen, kann es gar nicht schnell genug gehen.» Planted habe bereits 1,3 Millionen Hühner vor der Schlachtung gerettet. «Every chicken counts», jedes Huhn zählt.

Es ist dieser Moment, wo Bieri auch Elon Musk erwähnt. Als Person sei er umstritten. Aber wie Musk die kaputte Autoindustrie revolutioniere, finde er inspirierend. «Es braucht jemanden mit einer Vision, der voranschreitet.» Judith Wemmer findet das Wachstum von On beeindruckend und auch die Kultur der Zürcher Schuhfirma mit den flachen Hierarchien. Bei Planted hätten sie sich daran orientiert und auch am Taschenhersteller Freitag. 32 ist das Durchschnittsalter der Mitarbeitenden.


Bei der Forbes-Liste der «100 jungen Reichsten der Schweiz», wo immer nur eine Person pro Firma gelistet wird, ist Pascal Bieri mit einem Vermögen zwischen 5 und 10 Millionen Franken aufgeführt. Als das angesprochen wird, wirkt Bieri peinlich berührt. Judith Wemmer übernimmt auf dem Videobildschirm und sagt: «Der Investorenwert der Firma ist hoch. Aber wir sind sicher keine Leute, die sich bei einer Finanzierungsrunde Geld holen und dann auf die Malediven reisen. Wir wollen etwas bewegen.»

Pascal Bieri sagt, dass ihm bis jetzt die Zeit gefehlt habe, um einen Schritt zurück zu machen und zu denken: «Wow.» Es überwiege das calvinistische Gefühl, noch nirgends zu sein.

Text im Tages-Anzeiger