Der Chef

Der Chef

Bligg wandelt zwischen jung und alt, Promi und Rapper. Auf dem Albumcover macht er auf Wilhelm Tell. Das Business funktioniert. Doch etwas geht nicht auf.

Saro tanzt mit ihren Kolleginnen und sagt: «Bligg macht Stimmung mit Schweizer Musik. Wer schafft das schon?» Andrea hört ihn gerne im Radio und trinkt jetzt einen Mojito. Dejan liebt «Rosalie». Und Pascale hat in der Primarschule einen Vortrag über ihn gemacht.

Sie und 3500 weitere stehen im September am Schlierenfäscht vor der Bühne. Die restlichen Bligg-Fans musste die Polizei wegschicken. Kein Platz mehr. Und das an einem Donnerstagabend.

DJ Mario spielt «Baila Morena» und «YMCA». Das Riesenrad blinkt. Stumpen und Softeis. Dann, endlich: «Dr Chef isch wieder zrugg. B.L.I.doppel G», rappt Bligg und wedelt mit einem roten Tuch. Die Handys gehen hoch. «Zeiget eui Pfötli», sagt der 47-Jährige. «Wird das en geile Aabig oder was?»

Marco Bliggensdorfer könnte wie DJ Bobo Freude an seinem Geschäftsmodell haben. Der gelernte Sanitär aus Schwamendingen ist heute einer der erfolgreichsten Schweizer Musiker. Er verdient an seinen rund 300 Songs. «Rosalie» und «Manhattan» kann die halbe Deutschschweiz mitgrölen.

Doch Bligg will mehr. «Du bist für mich der neue Mani Matter», habe ihm mal ein Berner Journalist gesagt. Das sei für ihn das grösste Kompliment. «Matter ist ein Wahrzeichen der Schweiz», sagt Bligg. «Und ich bin es in den letzten 15 Jahren auch ein Stück weit geworden und habe Kulturgut geschaffen.»

Der Konflikt zwischen Kultur und Kommerz zieht sich durch Marco Bliggensdorfers Leben. Wenn er über seine Musik spricht, sagt er auch mal «trademark» und «return on investment». Am Konzert in Schlieren vermarktet er seinen eigenen Tannenschnaps. Das Video zum neuen Song «Milchstrass» hat Bligg in Kooperation mit einer Tourismus-Firma gedreht. «Wir verbinden beide Menschen», sagt er am Strand von Ibiza in die Kamera. 

Und doch will Bligg Anerkennung als Musiker, als Sprachkünstler, ein Stück weit Mani Matter sein eben.

Mit WD-40 will er die Beziehung retten

Am Freitag veröffentlicht Bligg sein zwölftes Album. Er wolle damit den Schweizer Gemütszustand in Stein meisseln, heisst es in der Medienmitteilung.  Auf dem Cover inszeniert er sich als Wilhelm Tell. Bei seinem Konzert im Zürcher Kaufleuten wird Bligg als «bester Schweizer Rapper» angekündigt. In seinen neuen Songs erzählt er Geschichten, die alle verstehen, und wird dabei von Blasinstrumenten und Volksmusik begleitet.

«Dä Staub wött de Suuger und ich ändlich Rueh», singt er. Im Baumarkt kauft er einen Akkubohrer, WD-40-Spray und eine Wasserwaage – und will damit die Beziehung retten. Aus der Gentrifizierung macht er eine Ganoven-Story: «Hebet de Siech, bevor er de letscht Fläck umstrukturiert.» Bligg macht sich über Männer lustig, die sich ihren Frauen anpassen, Ayurveda-Kurse besuchen und nur noch im Sitzen pinkeln. Und er jongliert mit Schweizer Songtiteln von Zündhölzli bis Bälpmoos. Das Gleiche hat er früher mal mit Künstlernamen gemacht.

In seinem Studio oberhalb von Horgen mit Sicht auf den See pudert sich Bligg das Gesicht mit Anti-Shine-Powder und streicht sich Gel ins Haar. Er habe schon viele Fotoshootings hinter sich, sagt er und zieht ein Gilet an. Für diese Zeitung wolle er ein bisschen intellektuell rüberkommen. «Sus lütet s Grossmami a.»

In Bliggs Büchergestell stehen Biografien der Rapper Bushido und Kollegah, aber auch jene von Madonna. Daneben ein Bonsai aus Lego. Und einige Ratgeber, die dabei helfen sollen, sein Geld richtig anzulegen. 

Er sei schon immer kommerziell ausgerichtet gewesen, sagt Marco Bliggensdorfer. Jeder, der Songs rausbringe, wolle auch gehört werden. Für die Anerkennung und ein paar Instagram-Likes müsse er jetzt – mit fast 50 – keine Musik mehr machen. Er könne seinen Kindern heute Sachen ermöglichen, die für ihn nie dringelegen wären. Seinem Sohn im Primarschulalter, der Youtuber werden will, zahlt Bligg eine Programmierschule. Er selbst konnte früher keine Gitarrenstunden nehmen und wurde Rapper, weil er dafür nur einen Stift brauchte. Diesen Aufstieg erwähnt er immer wieder.

Andere Rapper würden sich hinter der Subkultur verstecken, wenn der Erfolg ausbleibe, sagt Bligg. «Wenn jemand einen Rap-Track herausgibt, der keine Sau interessiert, kann er immer noch sagen: Es ist halt Underground. Und du bist der Kommerz-Fuzzi.»

Er singt für «Otto Normalverbraucher»

Für das aktuelle Album hat Bligg wieder mit Hitmill zusammengearbeitet, dem Studio im Kreis 5, das auch Baschi und Adrian Stern in die Charts brachte. Fred Hermann schreibt schon seit 16 Jahren an Bliggs Alben mit und war früher auch Schlagzeuger in seiner Band. «Die Songs müssen auch Bligg selbst berühren, sonst würden sie nicht funktionieren», sagt er. Etwas nur zu machen, um Erfolg zu haben, das gehe nicht. Aber klar, das Ziel sei es, möglichst viele Menschen zu begeistern. 

Auf das kommerzielle Musikstudio angesprochen, winkt Bligg ab. Er arbeite einfach gerne mit Fred zusammen, sagt er. Was Hitmill sonst noch mache, habe nicht viel mit ihm zu tun. In eine Abwehrhaltung geht er auch, als er etwas zur Konzerttour sagen soll, die er diesen Sommer gespielt hat: Schlierenfäscht, Grümpeli Wiesendangen, Jubiläum des Zentrums Regensdorf, ein Wanderfestival der Migros. 

«Das war eine Ausnahme», sagt Bligg. Es sei ihm einfach wichtig gewesen, nach der Pandemie wieder bei den Leuten zu sein – «auch auf kleineren Bühnen». Die Leute, das seien Schweizer «Otto Normalverbraucher». Vier Generationen Fans gebe es mittlerweile, sagt Bligg. 

Er war ein Schweiz-Rap-Pionier

Ende der Neunzigerjahre wird Bligg als Duo mit Lexx bekannt. «Ich rülps, fluech, suff, kiff und reimä», rappt er. Mit dem Golf fährt er zu Konzerten; wenn das Geld knapp ist, ernährt er sich von Büchsenravioli und arbeitet auf dem Bau. «Bald gibt es eine Generation, die Schweizer Rap kauft statt Polo Hofer», sagt Bligg 2001. Bligg’N’Lexx sind Pioniere, doch sie leben sich auseinander. 

«Bligg wollte Fame und war ein Alpha-Tier, das auch seine Opfer gefordert hat», sagt Alex «Lexx» Storrer. Im Gegensatz zu ihm sei er dem Pop nicht abgeneigt gewesen, habe sich von Gölä inspirieren lassen, wollte klar in die kommerzielle Richtung. «Heute spricht Bligg Heimatgefühle an und holt das Büezerpublikum ab», sagt Lexx. Er habe von ihm gelernt, dass man manchmal auch ein bisschen mutiger sein dürfe und sich nicht verstecken müsse. Was er aber nicht verstehe, seien einige Publicity-Sachen, die Bligg mache. «Dafür hätten wir uns früher nicht verbogen», sagt Alex Storrer. Die beiden haben nur noch sporadisch Kontakt. 

Mit 30 Jahren musste Bligg zurück zu seiner Mutter ziehen, weil das Geld nicht reichte. Das sei ein beschämender Schritt gewesen, sagte er in einem Interview. Sein Vater riet ihm damals, lieber auf den Beruf als Sanitär zu fokussieren. Dann fragte SRF ihn an, ob er mit der Streichmusik Alder seinen Song «Volksmusigg» in einer neuen Version aufnehmen wolle. «Der Rest ist Geschichte», sagt Bligg. 

Champagner und ein Sandwich

Eine Geschichte, welche die Rap-Szene nicht goutierte. Was Bligg mache, habe nichts mehr mit der Rap-Kultur aus den amerikanischen Vororten zu tun, sagt Musikjournalist Lukie Wyniger. Trotzdem wolle er Teil der Szene sein und mache einen auf Hip-Hop-Chef. «Das geht nicht auf.» Ein Jay-Z sei dem Rap zum Beispiel treu geblieben, obwohl er Cognac verkaufe und im Geld schwimme. «Er hat die Kultur nicht verkauft. Bligg schon», sagt Wyniger. Er sieht ihn ganz klar bei DJ Bobo. Und weit weg von Mani Matter.  

Der Akkordeonist von Bliggs Band spielt in Schlieren die Melodie von Matters «Hemmige» und leitet dann zu «Rosalie» über. Eine Gruppe Teenager springt gemeinsam auf und ab. «Einer geht noch», schreit ein aufgepumpter Mann mit Baseballcap im Publikum. «Ir Geile!», schreit Bligg zurück. «Und das amne Dunschtig oder was? In Schliere oder was?»

Slädu, der früher in Göläs Band war, spielt ein Gitarrensolo. Bliggs Bruder, der auflegt und sich ein Tuch um die Stirn gebunden hat, lässt den letzten Beat laufen. Dann übernimmt wieder DJ Mario. Ein junges Paar knutscht zu Culcha Candela. Zwei Pole-Dancerinnen machen eine Show. Bligg trinkt hinter der Bühne auf einer Festbank Champagner, zieht ein Sandwich aus der Folie und grüsst mit Handschlag. Er wandelt zwischen Jung und Alt, zwischen Rapper und Promi, zwischen Baustelle und Studio mit Seesicht. Vor dem Absperrgitter stellen sich Frauen an, die ein gemeinsames Foto wollen. 

Kurz vor dem Album-Release nimmt sich Bligg nochmals Zeit für ein kurzes Telefonat. Im Auto fährt er zum Studio, unterbricht das Gespräch, wenn er sich auf den Verkehr konzentrieren muss. Macht Marco Bliggensdorfer wirklich die Musik, die ihm gefällt?

«Ja», sagt er. Er könne viele Musikstile mischen, die ihm gefielen, und liebe es, Geschichten zu erzählen. Die Rap-Kultur feiere er immer noch. «Du kannst mich alles über Rap fragen», sagt Bligg. Aber das Publikum erwarte heute etwas anderes von ihm. «Diese Geister habe ich ja gerufen.» Stephen King schreibe auch nicht einfach plötzlich Liebesromane statt Horror-Storys. 

Mani Matter. Stephen King. Bligg. 

Text im Tages-Anzeiger