Herbert Grönemeyer im Interview: «Wenn die Schweizer wütend werden, dann wird es schwierig»

Herbert Grönemeyer im Interview: «Wenn die Schweizer wütend werden, dann wird es schwierig»

Der erfolgreichste deutsche Musiker spielt im Hallenstadion. Ein Gespräch über seine Zeit in der Schweiz, das Wort «Boomer» und seine Autos. 

Herr Grönemeyer, Ihr neues Album «Das ist los» ist gefüllt mit Lebensweisheiten. Eine davon: «Fesch sein.» Was meinen Sie damit?

Fesch ist, wer sich gut kleidet. Aber fesch sein heisst für mich auch stolz sein. Die Klimabewegung finde ich zum Beispiel fesch. Sie geht mit Stolz in den Widerstand. 

Wann waren Sie selbst zuletzt fesch?

Bei der neuen Platte habe ich hoffentlich ab und zu Momente von Fesch-Sein hingekriegt. Aber ich hinterfrage jede meiner Zeilen genau und gucke sie 70-mal an. Ich sitze nicht da, klopfe mir ständig auf die Schulter und sage: «Boah, bist du klug.»

Ein weiterer Ihrer gesungenen Ratschläge ist «Tanz’ darüber nach».

Das habe ich gelesen, muss ich fairerweise sagen. Ich sah es auf den Rollläden einer stillgelegten Disco in Flensburg. Ich fand das so klasse. Weil Tanzen etwas ist, wo du das Denken ablegst und dich durch die Bewegung in eine Euphorie pumpst.

Wann haben Sie zuletzt so richtig ausgelassen getanzt?

Im Berghain in Berlin. Das war aber vor Corona.

Wie wars?

Ich fand es gigantisch. Ich war zum ersten mal im Berghain, ein befreundeter DJ hat mich reingebracht. Dieses Gebäude mit den irrsinnig hohen Räumen. Und dieser Techno, der fast auf der Stelle steht. Gar nicht so treibend, sondern so richtig schwer. Wie so Stahlstempel die runterfallen. Dum-Dum-Dum. Und die Leute sind friedlich in der Bude. Es war tiefenentspannt.

Haben Sie mal in Zürich gefeiert?

Meine damalige Freundin habe ich im Kaufleuten kennen gelernt. Da war ich tanzen, direkt nach dem Konzert. Danach habe ich auch für eine Zeit in Zürich gelebt.

Hat es Ihnen hier gefallen?

Sehr. Ich mag dieses Zurückgelehnte.

Wie meinen Sie das?

Dieser ruhige Humor der Schweizer. Sie sind so unaufgeregt, haben eine grosse Selbstironie. Und die Loyalität. In Deutschland wird es schneller zickig. Nur wenn die Schweizer wütend werden, dann wird es schwierig. Da wundert man sich dann. Ein bisschen wie die Briten, wenn sie sauer werden. Wenn ein Schweizer wütend wird, dann muss man sich warm anziehen.

Finden Sie Zürich fesch?

Es ist ein unglaublich spezieller Platz. Eine kompakte Stadt mit vielen Schichten – zwischen Aufbegehren und Geld. Und Zürich hat einen gewissen Sex-Appeal.

Inwiefern?

Für uns Preussen ist die Schweiz sehr südlich. Dieser Zugang zu Italien. Die Sehnsucht nach dem Meer …

Zurück zu Ihrer Musik: Ihr neues Album ist ein wilder Stilritt. Nehmen wir den Titelsong «Das ist los». Da rappen Sie zu Beginn beinahe, dann setzt ein clubbiger Beat ein, und schliesslich erinnert der Song mit diesem «Ooooooo» ans Schlagerzelt.

Der Chor ist wirklich ein bisschen grenzwertig. Wenn der allein steht, denkt man kurz: Was ist denn da los? Aber deswegen breche ich ihn auch gleich wieder, deswegen hack ich ihn quasi kaputt.

Haben Sie nie Angst, sich mit Ihrer Musik anzubiedern?

Nein. Ich verjünge mich ja nicht künstlich. Und ich höre auch heute noch genug Musik, um trotz meiner 67 Jahre halbwegs mitzukommen.

Welche Künstlerinnen und Künstler feiern Sie gerade?

Das Album «Don’t Sweat the Technique» von Eric B. & Rakim. Das müssen Sie hören! Ein Hip-Hop-Album aus den 90ern, das ich per Zufall durch einen Film entdeckt habe. Ganze harte Schlagzeug-Beats, tierisch komprimiert, durchgeprügelt, das macht unglaublich Laune, macht Freude auf den Sommer. Dann war ich zuletzt bei Kendrick Lamar auf dem Konzert in Berlin. Das war ganz gross. Und schliesslich Anderson Paak. Meine Schwiegertochter wollte ans Konzert von Bruno Mars, und zuerst dachte ich: Was soll ich da denn? Aber dann spielte Anderson Paak als Vorband, setzte sich ans Schlagzeug, sang gleichzeitig – und ich dachte: Puh, wunderbar. Und dann kam noch Bruno Mars, und alle flogen.

Wie entsteht Ihre Musik?

Ich gehe da nicht didaktisch ran, sondern intuitiv. Ich nehme alle Instrumente, die ich zu fassen kriege, und nagle das aufs Band. Ich koche und hoffe, dass ein Geschmack zurückbleibt, der was Lebendiges hat. Es ist wie beim Essen. Wenn eine Mahlzeit zu glatt durchgeht, dann musst du von einem Gewürz noch mehr nehmen. Das gelingt mir nicht immer. Das gefällt nicht allen. Aber ich mache es so, wie ich es gut finde.

Wie gelingt ein Liebeslied ohne Kitsch?

Ich lese gerade ein Buch, das mir ein Freund geschenkt hat: «Wabi Sabi». Es geht darin um eine Teezeremonie in Japan und darum, dass Dinge intensiver werden, wenn sie unperfekt sind. Das finde ich hochinteressant. Eine Grandiosität findet durch die Brüchigkeit statt und nicht durch das Gelackte und Perfekte. «Behutsam» heisst eines meiner neuen Liebeslieder, und darin gibt es das Wort «Retterinnenweg». Solche Worte braucht es, denn da denken sich die Hörer: Was? Was ist das denn für ein Wort? Aber im Nachhinein sind es die Irritationen, die einen Song intensiver machen. 

Auf dem neuen Album von Trettmann, einem deutschen Trap- und Dancehall-Musiker, sind Sie auch drauf. Er rappt über «Insta» und seine «Gang». Sie klingen eher priesterlich, wenn Sie über die «Wonne» oder die «Hoffnung» singen. Was verbindet Sie mit Trettmann?

Nichts bis dahin. Aber er hat mich für ein Feature angefragt, und darüber habe ich mich gefreut. Ich finde Trettmann einen hochinteressanten Typen. Er hat seinen eigenen Musikstil gefunden mit diesen puristischen Playbacks.

Kürzlich waren Sie bei der Klimaaktivistin Luisa Neubauer als Gast im Podcast und wurden von Ihr als Boomer bezeichnet. Nervt Sie diese Bezeichnung?

Nein, das beschreibt meine Generation ja ziemlich gut.


Wie meinen Sie das?

Wir sind «Produkte» des Hochkapitalismus. Ich gehöre zu der «cleveren» Generation, die in den letzten 30, 40 Jahren alles zu ihrem eigenen Vorteil zur Seite geschafft hat und die gleichzeitig auch noch aus der Hippie-Zeit kommt, was natürlich ein riesiges Problem ist. Weil wir deshalb denken, dass wir die Moral auf unserer Seite haben. Und so gehen wir teilweise mit der Jugend um, was dramatisch ist. Ich bin froh, dass endlich wieder eine Generation da ist, die sich aufmacht, uns Beine zu machen. 

Bei Luisa Neubauer erzählten Sie im Podcast, dass Sie Autos innig lieben.

Ich bin ein echter Autofreak. Total. Habe eine grosse Sammlung.

Sie sagten aber auch, dass sie davon Abschied nehmen müssen, weil die Autos die Atmosphäre verschmutzten. Sie werden sie «an die Wand hängen oder irgendwo hinstellen». Ist das schon geschehen?

Noch nicht. Aber wir müssen einschneidende Veränderungen vornehmen, sonst bewegt sich nichts. Ich bin ein totaler Automobilist. Aber das nützt ja nichts. Ich muss langsam beginnen, von dieser Leidenschaft Abstand zu nehmen.

Nicht nur die Klimakrise thematisieren Sie auf Ihrem neuen Album, sondern auch die Bankenkrise, den Zerfall der Demokratie und Transphobie. Es brauche «immer wieder einen Neuanfang», singen Sie. Wie kann dieser gelingen?

Der erste Schritt ist, nachzudenken. Sich zu fragen: Was passt mir nicht? Wo kann ich mich anschliessen? Was kann ich unterstützen? Und dann in die Offensive gehen. Geistig provozieren. Sich aufmachen.

«Wer sich nicht aufmacht, hat ein zahmes Leben danach», lautet eine Ihrer Zeile. Was ist so schlimm an einem zahmen Leben?

Man stirbt innerlich ab. Es ist völlig okay, mal Ruhepausen einzulegen, aber zahm dahinleben … – das ist so wie zahme Liebe. Liebe ist ja auch was Wuchtiges. Wer zahm liebt, wird mit der Zeit merken: Ööööö. Und schläft dann ein.

Text im Tages-Anzeiger