Rapper Loyle Carner im Interview: «Ich war wütend auf meinen Vater und auf mich selbst»
Der Londoner tröstet mit seiner Musik, weil er seine Wunden und persönlichen Unsicherheiten zeigt. Ein Gespräch über gute Gespräche im Auto, ADHS und Vergebung.
Am Mittwochnachmittag hat Bernd Fasching das Schild seines Hostels abgehängt. 1994 hat der
Seine Musik euphorisiert am Morgen im Bad. Sie kann einem in den Ferien mit Freunden oder der Familie diese kurzen, aber heftigen Momente der Dankbarkeit geben, für das, was man hat. Und sie kann wie ein Buch berühren, wenn man in den Lyrics nachliest, was Loyle Carner da eigentlich genau über diese süchtig machenden Soul- und Jazz-Beats rappt.
Sein letztes Album «Not Waving, But Drowning» beginnt mit einem Brief an seine Mutter, in dem er erklärt, warum er auszieht und wieso er nur die Hälfte seiner Kleider mitnimmt. Zum Schluss antwortet sie ihm in einem Song, spricht über Piano-Klänge: «I’ve watched you grow, from first kick to first kiss.»
Auf seinem neuen Album «Hugo» geht der 28-Jährige den Weg seines verletzlichen, unsicheren und ehrlichen Rap weiter, der in diesem Genre eine Seltenheit ist. Viele der Songs handeln von seinem Vater, zu dem er lange keinen Kontakt hatte. Zuerst spricht Carner seine Ängste und seine Wut aus. Dann sucht er Vergebung.
Beim Zoom-Gespräch ist der Londoner Rapper gerade in Hamburg. Fast alle seine Konzerte sind ausverkauft. Heute ist der Geburtstag des Keyboarders seiner Band. «Später am Abend gehen wir Karaoke singen», sagt Loyle Carner. Er freue sich.
«Let me tell you what I hate». Mit dieser Zeile starten Sie in Ihr neues Album. Was hassen Sie gerade am meisten?
Rishi Sunak vielleicht, unseren Premierminister. Nein, ich weiss nicht. Eigentlich versuche ich gerade nichts mehr zu hassen. Ich will diesen tiefroten Zorn, der in mir kochte, loswerden. Dabei hat mir auch das neue Album geholfen.
Woher kommt dieser tiefrote Zorn?
Ich habe mich über mich selbst geärgert, über meinen Vater, die Welt, die Medien, mein Smartphone, Instagram …
Nicht nur Wut ist auf Ihrem neuen Album «Hugo» ein grosses Thema, sondern auch Angst. «I fear the color of my skin», rappen Sie. Weshalb haben Sie Angst vor Ihrer Hautfarbe?
Ich hatte Angst, dass Menschen mich deswegen schlecht behandeln, verletzen oder mobben könnten. Meine Hauptfarbe gilt an manchen Orten als Verbrechen.
Ihr Vater ist schwarz und verliess die Familie früh. Danach wuchsen Sie bei Ihrer weissen Mutter und Ihrem Stiefvater auf. Dieses Gefühl beschreiben Sie so: «I told the black man he didn’t understand. I reached the white man, he wouldn’t take my hand». Sie hätten den schwarzen Mann nicht verstanden, und auch der weisse habe Ihre Hand nicht genommen. Können Sie das genauer erklären?
Ich wollte als Kind mit meinem Stiefvater meine Probleme besprechen, doch er hat sie aufgrund seiner weissen Hautfarbe schlichtweg nicht verstanden. Dann versuchte ich mit meinem biologischen Vater zu reden, aber er war nicht da.
Viele Themen, die Sie auf dem neuen Album und eigentlich schon immer in Ihrer Musik behandeln, sind sehr persönlich. Fällt es Ihnen manchmal schwer, sich so verletzlich zu zeigen?
Es ist komisch, aber ich finde es viel schwieriger, Musik über Belanglosigkeiten zu machen. Das nervt mich manchmal auch, denn ich möchte einfach Songs machen können, die sich gut anfühlen und hedonistisch sind. Aber immer wenn ich den Stift in die Hand nehme, schreibe ich darüber, wie ich mich fühle.
Konnten Sie schon immer so schonungslos ehrlich sein?
Ich glaube schon. Meine Mutter hat mich eine grosse emotionale Intelligenz gelehrt, als ich noch jung war. Sie hat mir geholfen, mich und meine Emotionen zu verstehen. Ich bin sehr glücklich, dass ich Worte dafür finde, was in mir vorgeht.
Wie hat Ihre Mutter Ihnen das beigebracht?
Durch Gespräche, die sie mit mir führte. Sie hat jeden Tag von ihren Gefühlen erzählt und nach meinen gefragt. Sie hat mir einen Platz gegeben, an dem ich meine Emotionen teilen konnte.
Ihre Texte sind Gedichte. Wo und wie schreiben Sie diese?
Ich fülle Notizbücher. Schreiben kann ich an allen möglichen Orten: im Studio, im Bus, auf der Toilette – eigentlich überall.
Welche andern Musikerinnen und Musiker inspirieren Sie?
Gerade Anthony Kiedis, der Sänger der Red Hot Chili Peppers. Und auch die amerikanische Band Khruangbin und die Londoner Rapperin Little Simz.
Ihr neues Album heisst «Hugo». Weshalb?
Während des Lockdown hat mir mein Vater das Autofahren beigebracht. Wir sind herumgefahren und führten Gespräche. Zuerst waren diese von Hass und Unverständnis geprägt, doch dann wurden sie immer schöner. Dadurch bin ich ihm wieder nähergekommen. Sein Auto nennen alle «Hugo», weil «HGU» auf dem Nummernschild steht.
Zuvor hatten Sie lange keinen Kontakt mit Ihrem Vater. Warum haben Sie sich dafür entschieden, ihm wieder näher zu sein?
Weil ich selbst Vater wurde. Ich wollte, dass mein Vater im Leben meines Sohnes da ist, damit mein Sohn die Geschichte der Familie verstehen kann. Es war mir wichtig, eine neue Verbindung mit ihm einzugehen.
Sie fuhren mit Ihrem Vater auch nach Guyana in den Norden Südamerikas, wo er ursprünglich herkommt. Ihr Musikvideo für den neuen Song «Georgetown» haben Sie dort gedreht.
Genau. Das war unglaublich, denn er war vorher noch nie dort. Er ist in England aufgewachsen. Und ich wollte immer, dass er mich etwas über Guyana und meine Herkunft lehrt. Es stellte sich heraus, dass ich mehr über unsere Geschichte wusste als mein Vater. Und so habe ich ihm schliesslich viel beigebracht.
In Ihrem Song «HGU», den Sie live ohne Beats als Gedicht performen, rappen Sie: «The Disney Channel on the screen. Yo, I can’t forget the screams». Disney im Fernseher und viele Schreie – wie war es für Sie, ohne Ihren Vater aufzuwachsen?
Als ich jung war, habe ich nie gewusst, was ich vermisse. Jetzt bin ich selbst ein Vater für meinen Sohn und weiss, was das bedeutet.
Wie ist es, Vater zu sein?
«It’s magic, man»! Es ist einfach alles.
Wie hat sich Ihr Leben durch die Geburt Ihres Sohnes verändert?
Es ist schöner geworden. Ich bin mutiger, glücklicher und kann besser im Moment sein.
Weshalb?
Weil ich mir keine Sorgen mehr über Smartphones und anderen Bullshit mache. Es geht nur noch darum, was mein Sohn macht. Wie ist das Wetter? Regnet es? Ist da eine Pfütze, in die wir reinspringen können?
Auch sonst haben Sie viel mit jungen Menschen zu tun. Sie haben selbst ADHS und haben in London die Kochschule «Chilli Con Carner» für Kinder mit ADHS gegründet. Was lernen Sie von ihnen?
Dass die Zukunft in sicheren Händen ist. Da ist viel «beauty» in diesen Kindern. Sie sind sehr offen, und sie kämpfen gegen den Status quo. Das inspiriert mich.
Wie hat Ihr ADHS Sie geprägt?
Positiv und negativ. Ich habe Fehler gemacht. Aber es hat mir auch geholfen, Risiken einzugehen.
In Ihrem Album «Hugo» ist viel Wut, viel Angst und viel Schmerz, aber auch viel Vergebung. «I forgive you, I forgive you, I forgive you», rappen Sie zum Schluss. Wieso ist es für Sie so wichtig zu vergeben?
Weil es mich frei macht. Und diese Erkenntnis möchte ich mit anderen Personen teilen. Ich war wütend auf meinen Vater und auf mich selbst. Und dann konnte ich ihm vergeben und mir auch ein bisschen. Und das hat mich weitergebracht.
Wie haben Sie das geschafft?
Mit viel Geduld und dem Mut, den mir mein Sohn gegeben hat. Ich wusste, es geht jetzt nicht mehr nur um mich, sondern auch um ihn. So lernte ich, dass ich nicht mein Leben lang wütend sein muss, sondern auch vergeben kann.
Wie ist es für Sie, mit dem neuen Album eine fast komplett ausverkaufte Tour zu spielen?
Es macht mich stolz. Ich habe es vermisst, auf der Bühne zu sein. Es ist schön, zu sehen, dass meine Musik dem Publikum etwas bedeutet.
2016 sind Sie im Exil in Zürich und ein Jahr später am M4Music-Festival aufgetreten. Was haben Sie für Erinnerungen daran?
Bei einem der Konzerte hat mich jemand mit Cola vollgeschüttet. Zuerst hats mich genervt, aber dann wurde es ein Spiel, und ich habe zurückgegeben.