Der Niedergang des Gastrokönigs

Der Niedergang des Gastrokönigs

Jede Stadt hat ihren mächtigen Beizer. Der St. Galler Peter Schildknecht war einer von ihnen. Doch jetzt zerfällt sein Imperium. Und niemand versteht, warum genau.

Noch vor wenigen Jahren war es in St. Gallen fast unmöglich, nicht irgendwann an einem Tisch von Peter Schildknecht Platz zu nehmen. Der Patron servierte in der Tonhalle, schenkte an der Olma aus und wirtete in mehreren anderen Betrieben. Laut eigenen Angaben war die Peter Schildknecht Gastronomie AG (PSG) das grösste private Gastrounternehmen der Ostschweiz: bis zu 2000 servierte Mahlzeiten pro Tag, über 200 Mitarbeitende. Schildknecht war das, was es in praktisch jeder Schweizer Stadt gibt: ein Gastrokönig.

Doch das war einmal. Ende des vergangenen Jahres ist Schildknechts Pacht im Restaurant des Kulturlokals Lokremise ausgelaufen, bereits im Frühling schloss er seinen Betrieb in der Shopping-Arena. Übrig ist nur noch ein Lokal: das Restaurant Marktplatz in der Altstadt. Wie es dazu kam? Es ist eine Frage, die ganz St. Gallen beschäftigt. Eine Frage, die über Corona und die damit einher gehenden schwierigen Rahmenbedingungen hinausgeht – und bis heute einer Antwort harrt.

So wenig man über den Niedergang der PSG weiss, so wenig weiss man auch über den 74-jährigen St. Galler und seinen Aufstieg zum Gastrokönig. Peter Schildknecht gehört in der Ostschweiz zwar zur Lokalprominenz, handelt mit teuren Springpferden und wurde schon als möglicher Investor des FC St. Gallen gehandelt. Persönliches gibt er aber kaum preis, Interviews lehnt er ab, Fotos von ihm gibt es keine, selbst sein Name ist ein Rätsel. Im Handelsregister und auf Unterlagen des Gerichts schreibt sich der Gastronom mit t: Schiltknecht. In der Öffentlichkeit und mit seiner Firma tritt er derweil als Schildknecht mit d auf. Nicht alles ist bei der PSG so, wie es gegen aussen scheint.

Ein gutes Näsli

Auf seiner Website hat sich die PSG bis vor kurzem immer noch mit den alten Kennzahlen geschmückt: jährlich 2 Millionen Deziliter ausgeschenktes Valser-Wasser, 1600 Innenplätze. «Die nostalgische Internetsite hat keine Gültigkeit mehr», schreibt Peter Schildknecht auf Anfrage. Ein Gespräch über sein Unternehmen lehnt der Gastronom ab. Seine Betriebe seien über Jahrzehnte immer erfolgreich gewesen, schreibt der 74-Jährige.

Das können in St. Gallen viele bestätigen. Einer von ihnen ist Jordan Paparazzo. Er war früher Chef de Service in Schildknechts Restaurant Marktplatz und führt heute eine eigene Bar in St. Gallen. «Seit Mitte der 80er-Jahre ist Peter Schildknecht ein erfolgreicher Gastronom», sagt er. Schildknechts Café Colony mit dem Interieur im Kolonialstil sei einst die beste Bar der Stadt gewesen. Auch andere ehemalige Mitarbeitende beschreiben Schildknecht als guten Geschäftsmann. Er habe ein gutes Näsli gehabt – und super Zahlen.

Doch in den vergangenen zehn Jahren drehte der Wind. Die PSG begann, Restaurants aufzugeben. Negative Schlagzeilen kamen hinzu. 2019 führte die Eidgenössische Zollverwaltung ein Strafverfahren gegen Peter Schildknecht. Er soll bei der Einfuhr von Springpferden falsche Angaben zu ihrem Wert gemacht haben, um Steuern zu sparen. Schildknecht scheiterte mit seiner Beschwerde beim Bundesgericht und musste 40’000 Franken nachzahlen.

Dann war da die Sache mit der Lokremise. Im Frühling machte der «Blick» publik, dass der Sohn von Peter Schildknecht die Findungskommission für die Pachtvergabe des Restaurants im Kulturzentrum abhören wollte. Das unter einem Tisch klebende Aufnahmegerät wurde jedoch noch vor der Sitzung entdeckt. Die Staatsanwaltschaft St. Gallen verurteilte Schildknecht junior, der auch im Familienunternehmen arbeitet, zu einer Geldstrafe. Die PSG bestreitet, sich nochmals für die Pacht beworben zu haben, auch nicht mit einem Subunternehmen. Das Motiv des Abhörversuchs bleibt deshalb bis heute unklar.

Im Sommer kam für Peter Schildknecht eine weitere Niederlage vor Bundesgericht hinzu. Weil er Pachtzinsen nicht bezahlt hatte, musste er Ende Jahr das Hotel Seeburg in Luzern verlassen. Die Expansion aus der Ost- in die Zentralschweiz endete so nach weniger als drei Jahren – und mit einem grossen Streit.

«Es ist bei uns der Eindruck entstanden, als wollte die PSG ein Terrain der verbrannten Erde hinterlassen», sagt Ronald Joho-Schumacher, der Sprecher des Hotels Seeburg. Insgesamt seien 2,5 Millionen Franken Pachtzinsen noch nicht bezahlt. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Hotels, der noch unter der PSG gearbeitet hat, spricht von einem schlechten Arbeitsklima. Peter Schildknecht habe Vorschläge von langjährigen Mitarbeitenden ignoriert oder sogar als Affront aufgefasst. Die Zimmer habe Schildknecht sich erst fünf Tage vor der Hoteleröffnung angeschaut. Er habe das Hotel heruntergewirtschaftet, behauptet der Mitarbeiter.

«Extremer psychischer Druck»

Alle diese negativen Vorfälle hätten der PSG Gegenwind gebracht, sagen ehemalige Mitarbeitende. Auch ein König kann sich nicht alles erlauben. Eine Reihe von Ehemaligen, ob Köchin oder Servicepersonal, ob studentische Hilfskraft oder Angestellte in leitender Funktion, zeichnen ein ähnliches Bild des Unternehmens – und begründen so auch dessen Niedergang. Wer wie Peter Schildknecht handle, kriege früher oder später die Quittung.

Der Patron sei ein knallharter Geschäftsmann, der sich über alle sozialen Normen hinwegsetze. Wenn es jemand nicht gut mit Schildknecht habe, könne dieser sehr ungehalten werden und die betroffenen Personen auch mal vor dem ganzen Team und vor den Gästen zur Schnecke machen. Er sei sehr launisch. Wegen eines einzelnen Pomme frite auf dem Boden könne er ausrasten.

Von einem «extremen psychischen Druck» im Restaurant erzählen andere Mitarbeitende. Wenn Schildknecht vorbeigekommen sei, hätten alle gezittert und Angst gehabt. Sofortige Entlassungen seien keine Seltenheit gewesen. Viele ehemalige Mitarbeitende seien im Rechtsstreit mit dem Gastronomen.

Rechtsanwalt Rolf W. Rempfler, der in den letzten rund 20 Jahren immer wieder Arbeitnehmende von Peter Schildknecht beraten und vertreten hat, sagt: «Herr Schildknecht ist mit seiner PSG sowohl bei der arbeitsrechtlichen Schlichtungsstelle als auch beim Arbeitsgericht St. Gallen kein Unbekannter.» Er bewege sich oft an der rechtlichen Grenze und pflege – wohlwollend ausgedrückt – einen sehr autoritären Führungsstil. Schildknecht nehme kritische Rückmeldungen meist persönlich, wodurch zermürbende Gerichtsverfahren resultierten. «Bezeichnenderweise hat er mich in einem dieser Verfahren ehrverletzend beleidigt, wofür er sich im anschliessenden Gerichtsverfahren entschuldigt hat», sagt Rempfler.

Die Gewerkschaft Unia bestätigte im Herbst, dass sie einen Klienten gegen die PSG vertrete. Schon 2014 berichtete das «St. Galler Tagblatt» über Mitarbeitende, die im Restaurant Marktplatz ein «Klima der Angst» beschrieben. Sie warfen der PSG ungerechtfertigte Kündigungen, nicht gewährte Ruhepausen und nicht abgegoltene Überstunden vor.

Jordan Paparazzo, der einzige ehemalige Mitarbeitende, der sich mit Namen zu seiner Zeit bei der PSG äussert, sagt: «Wenn Peter Schildknecht eine gute Meinung von dir hat, kannst du weit kommen.» Er selbst habe «das Marktplätzli gerockt» und sei deshalb von Schildknecht in Ruhe gelassen worden. Viele hätten jedoch Angst vor dem Patron gehabt.

Gespräch mit dem Anwalt

Diese Zeitung hat Peter Schildknecht mehrmals für ein Interview angefragt. Es sei kein guter Zeitpunkt, teilte dieser erst mit, sagte dann doch für «ein klärendes Gespräch» zu, verschob es immer wieder und verwies letztlich auf seinen Anwalt. Dieser lädt in sein Büro in einer St. Galler Villa und will seinen Namen nicht in der Zeitung lesen.

Peter Schildknecht habe viel Risiko auf sich genommen und viele Arbeitsplätze geschaffen, sagt der Anwalt. Bei vielen Restaurants hätten die Rahmenbedingungen nicht mehr gestimmt, die Gastronomie verändere sich gerade stark. Nach der PSG werde in diesen Lokalitäten auch sonst niemand mehr erfolgreich geschäften können. «Die PSG zieht sich nicht aus der Gastronomie in der Ostschweiz zurück», sagt der Anwalt. Die PSG habe jede einzelne Restauration mindestens 10 Jahre geführt. Es würden wieder neue Betriebe dazukommen. Ausserdem führe die Firma der Familie von Peter Schildknecht zusätzlich zum Restaurant Marktplatz auch noch die Kantine des Bundesverwaltungsgerichts – mit einem Subunternehmen.

Das Gespräch findet an einem Holztisch statt, der wegen Corona durch eine Glasscheibe getrennt ist. Als der Anwalt von Peter Schildknecht die Vorwürfe der Mitarbeitenden liest, schüttelt er den Kopf, wird laut und sagt abwechselnd «völlig aus der Luft gegriffen» und «Wa söll da?». Dann reicht er die Blätter wieder zurück auf die andere Seite der Glasscheibe. Mit gewissen Arbeitnehmenden habe jeder Unternehmer ein Problem, sagt der Anwalt später, «besonders in der Gastronomie, wo viele völlig Ungelernte einen vorübergehenden Job suchen». Die Arbeitsverhältnisse seien dort meist kurz, weshalb es zu mehr Gerichtsfällen komme. Auch momentan vertrete er Peter Schildknecht gegen einen Angestellten.

So bleibt der plötzliche Zerfall von Peter Schildknechts Gastroimperium auch nach ausgiebigen Recherchen nebulös. Unbeantwortet bleibt übrigens auch die Frage nach dem richtigen Namen: Schildknecht oder Schiltknecht?

Die Antwort des Anwalts: «Wer ihn sucht, wird ihn schon finden.»

Text im Tagesanzeiger