Wenn Käse tötet
Eine kleine Käserei im Kanton Schwyz soll für zehn Todesfälle verantwortlich sein. Gegen die Betreiber wird ermittelt wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung. Wie konnte es so weit kommen? Und was bedeutet das für den Schweizer Käse?
Das Steinerberger Mutschli war der Stolz des Dorfes. Ein würziger Weichkäse von erhabener Qualität, sagt Gemeindepräsident Felix Reichlin. Seit 1926 stellte die Familie Vogel in Steinerberg, hoch über dem Lauerzersee, verschiedenste Käse her, gewann internationale Preise, doch jetzt glitzern die Milchtanks vor der Käserei leer in der Sonne, der Innenraum sieht aus wie ein Museum: leere Gabelstapler, leere Kessel, leere Käsegitter.
Der Grund dafür heisst Listeria monocytogenes. Das Bakterium, das bei Menschen mit schwachem Immunsystem zum Tod führen kann, soll sich über die Käse des Traditionsbetriebs verbreitet haben. Die Staatsanwaltschaft Innerschwyz gab am Donnerstag bekannt, dass sie ein Strafverfahren gegen die Käserei eröffnet hat.
Sie untersucht wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung, fahrlässige Körperverletzung sowie Widerhandlung gegen das Lebensmittelgesetz. 34 Personen seien wegen des verseuchten Käses erkrankt, zehn davon ums Leben gekommen. Wer die Opfer sind, wo sie lebten, wie alt sie waren? Zu all diesen Fragen hüllen sich die Behörden in Schweigen. Aufgrund früherer Informationen ist lediglich klar, dass unter den Erkrankten auch mindestens ein Kleinkind war und es in diversen Kantonen Fälle gab.
«Ich habe nie gedacht, dass so etwas geschehen kann», sagt der Steinerberger Gemeindepräsident Felix Reichlin. «So weit studiert unsereins nicht.» Am Telefon verweist die Familie Vogel auf ihren Luzerner Anwalt. Das Verfahren stehe noch ganz am Anfang, sagt dieser. Die Vorwürfe seien unbewiesen und müssten abgeklärt werden. Es gilt die Unschuldsvermutung. Auch im kleinen Dorf – eine lange Hauptstrasse mit Bergpanorama – will sich niemand zum Fall äussern, weil sich das rumspreche. Die Familie tue ihm leid, sagt ein Landwirt.
Daniel Koch informierte schon 2018
Begonnen hat die ganze Geschichte vor zwei Jahren. Daniel Koch, damals noch Leiter Abteilung Übertragbare Krankheiten beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), informierte über einen «ungewöhnlichen Listerienausbruch». Zwölf Fälle seien nicht viel. Aber zwölf Fälle vom gleichen Typ in relativ kurzer Zeit – das sei doch aussergewöhnlich.
Das BAG leitete eine Untersuchung ein. Das bedeutet: Labortests. Befragungen. Was haben die Patienten und Patientinnen in den letzten Tagen und Wochen gegessen? Wo sind Auffälligkeiten? Lange bringt die Detektivarbeit keinen Erfolg. Die Spurensuche, wie Daniel Koch sie nennt, versandet, bis die Käserei Vogel im März dieses Jahres eine interne Inspektion macht und die gefährlichen Bakterien vorfindet. Die Betreiber informieren den Kantonschemiker. Darauf werden 26 Produkte der Käserei Vogel aus dem Verkauf zurückgezogen: der Urschwyzer Kräuterkäse, der Bärlauchrahmkäse – und das Steinerberger Mutschli.
Parallel dazu vermeldet ein Spital, das Centre Hospitalier du Valais Romand, vier neue Listeriosefälle. Ein Walliser Patient, der an einer schweren Krebserkrankung litt, starb an den Folgen der Infektionskrankheit. Alle hatten zuvor Käse gegessen. Chemische Analysen deuten für die Behörden auf eine Verbindung dieser Fälle zur Käserei Vogel hin.
Die Käserei Vogel sieht wie ein normales Wohnhaus aus, doch sie produzierte pro Jahr ungefähr 300 Tonnen Käse, wie es im Führer «Chäsereie Zentralschweiz» heisst. Zu den Abnehmern zählten Coop, aber auch Geschäfte in Deutschland. Diverse Fluggesellschaften tischten ihren Passagieren Käse aus Steinerberg auf.
Thomas Bornhauser, Käseexperte und Autor des Führers «Chäsereie Zentralschweiz», kannte die Käserei Vogel gut. Er hat sie wiederholt besucht. Die Milch habe immer aus der Region gestammt. Milch wärmen, einlaben, ausformen, pressen, reifen lassen, lagern – all das sei mit neuesten Anlagen gemacht worden. «Mir ist nicht aufgefallen, dass die Käserei Vogel die Hygieneregeln grosszügig gehandhabt hat», sagt er und erzählt von einer Familie, die seit Generationen dieses Handwerk pflege. Zum Listerienverdacht will sich Bornhauser nicht äussern.
Nach dem Listerienfund stellte die Familie noch im Mai die Käseproduktion ein. Der letzte Betriebsleiter habe seine ohnehin geplante Pensionierung um einige Monate vorgezogen, heisst es. Auch den «Chäs-Chäller», ihren Käseladen in Goldau, schloss die Familie. «Ladenlokal zu vermieten» steht noch immer auf der Scheibe.
Erinnerungen an den «Killerkäse»
Im Juli hat der Kantonschemiker der Urkantone die Käserei Vogel angezeigt, worauf die Staatsanwaltschaft das Verfahren eröffnete. Das war nötig, weil es sich nicht um einen leichten Fall eines Lebensmittelvergehens handle, sagt der stellvertretende Kantonschemiker Beat Kollöffel. Durch die richtige Reinigung und Desinfektion könnten Listerien verhindert werden. Dazu kommen Kontrollen. Regelmässig müssen die Betriebe Käse einschicken und auf Oberflächen mit Teststreifen sogenannte Abklatschproben machen.
Einen ähnlichen Fall gab es in der Schweiz zuletzt vor mehr als dreissig Jahren. «Killerkäse, der Babys tötet», titelte der «Blick» 1987. In einer kleinen Waadtländer Käserei war der dort produzierte Vacherin Mont d’Or mit Listerien verfallen. 122 Menschen erkrankten, 33 starben. «Gift im Schweizerkäse», schrieb die internationale Presse. Es war eine Katastrophe für die Branche: Die Verkäufe fielen ins Bodenlose. In der Westschweiz kippten Käser ihren Weichkäse in Abfallmulden, in Frankreich schichteten Käser den Vacherin zu einer Mauer auf, um mit einer Strassensperre gegen Absatzeinbussen zu protestieren.
«Ist der Käse noch sicher?»
Stefan Truttmann vom Käserverband Fromarte erwartet, das auch dieser Vorfall der ganzen Käsebranche schadet und die Verkaufszahlen negativ beeinflusst. «Die Konsumenten werden sich fragen: Ist der Käse noch sicher?», sagt er und antwortet gleich selbst. Beim Vorfall in Kanton Schwyz handle es sich um einen absoluten Ausnahmefall. Die Branche wisse, wie sie Listerien im Schach halte, und habe sehr detaillierte Richtlinien für die Hygiene. Der Mensch bleibe aber immer ein Risikofaktor.