Vom schwebenden L getrieben

Vom schwebenden L getrieben

Längst sagen nicht mehr nur Kinder «I nimms Kiki» – auch Erwachsene kickboarden. Der Schweisser Edi Duarte tüftelte schon 1992 an seinen Trottinettli. Bei einem Spaziergang verkaufte er Wim Ouboter eines, jenem Mann, der später die Firma Micro gründete. Ouboter ist heute Millionär. Edi hadert.

Kurz vor Weihnachten wollte er endgültig damit abschliessen. Seine Babys aus Stahl, die ihm so viel bedeuten, unter den Arm nehmen, in den Kofferraum seines Skoda laden, raus in den Winterthurer Wald brettern, dort ein Loch graben, sie behutsam ineinander verkeilen, zuschütten, und fort, weg wären sie. Und damit auch Edi Duartes kleine Hoffnungen und grosse Sorgen. Doch so weit kam es nicht.

«Ich habe das Kickboard nicht erfunden», sagt Edi, 58, das ist ihm sehr wichtig. Steigquartier, verfärbte Blöcke im Kreis, nur wenige Bäume bis zur Autobahnausfahrt Töss. An Edis Klingel kleben zwei Smileys. Sein Lieblings-Trottinettli ist orange und hat keine Bremse. Es sei kein Spielzeug, sondern eine Waffe. «Ja, die hat der Nonno alle eigenhändig gemacht», sagt Edi zu seinem Enkel. Auf dem Balkon stapeln sich dutzende Anfertigungen neben einem Cachet portugiesischem Sagres-Bier. Da ist ein Tandem-Kickboard: eine Achse, zwei Lenker. Oder eine Vorrichtung für einen Einkaufskorb. Auch zwei Atomic-Kinderskier, die das Vorderrad eines Kickboards ersetzten.

Ein Lehrling hatte die Idee. In den 90er-Jahren bildete Edi in den Sulzer-Werkstätten Konstrukteure aus. Er brachte ihnen das Schweissen bei. Ein Job, den er liebte. Stressig, fordernd, abgehackte «Fingerbeeri» und rauchende Lehrlinge auf dem WC. Aber auch die Brutstätte vieler Ideen. Seine Lernenden hätten so einige Projekte umgesetzt: Liegevelos, Getränkespender für Cocktails und dann eben auch jener Vorschlag, der sein Leben prägte: das faltbare Trottinettli.

Die Idee ging Edi nicht mehr aus dem Kopf. Wenn die Kollegen in der Pause rauchten, blieb er in der Werkstatt und kritzelte seine Träume auf Post-Its. Er ging nicht zum Feierabendbier, sondern baute aus Stahl-Resten die Kickboard-Bausteine, die er brauchte – selbstverständlich nach dem Ausstempeln. Mit der Säge fuhr er zum befreundeten Velomech und plünderte dessen Abfall. Alles im Geheimen. «Ich bin nicht gerne im Zentrum», sagt Edi und öffnet eine rote Holzkiste.

Er ist ein Sammler. Jede Weiterentwicklung, sei sie noch so klitzeklein, archiviert er. Zeichnungen mit Tinte, die schwer lesbar sind und für ihn doch alles bedeuten, liegen in der Kiste. Und Akten von all den Problemen, die später auf ihn zugekommen sind. Doch ganz am Anfang stand nur eine Gleichung: Rädli von Inlineskates + Skateboard-Brett + Velolenker = Edis Trottinettli.

Als Kind gab es für ihn nicht viel ausser seinen Freunden und der Familie. Cascais, 20 Kilometer nordwestlich von Lissabon, Surfer-Gegend, 25 Grad im Sommer. Portugiesisches Räuber und Poli, Orangen vom Nachbarn klauen. Und das Meer. Von seinen Kollegen lieh Edi Rollschuhe aus. Das bedeutete: Für einige Stunden in die Welt des Rollhockeys entfliehen. Das blieb seine Passion, auch später noch, beim RSC Winterthur. Edi auf vierrädrigen Skates, mit Knieschonern und orangem Tenü. Schon hier begeistert ihn das Gefühl, über den Asphalt zu rollen. Er zeigt einen Cut am linken Auge. Da habe er eins gebacken bekommen.

Edis Vater Leovergildo ist viel auf Montage in Afrika. Dort lernt er einen Schweizer Turbinenhersteller kennen. Er bekommt einen Job in der Schweiz und nimmt die Familie nach Winterthur mit. In der Schule zeichnet Edi ein Flugzeug der portugiesischen Airline TAP. Er versteht nichts und findet trotzdem schnell Anschluss. Zum ersten Mal Schnee, die Familie hat Mühe mit dem Klima, Edi häufig Angina. Der Berufsberater sieht in ihm einen Künstler. Dekorateur oder Kürschner vielleicht. Doch Edi wird Industrie-Schweisser, wie sein Vater, und will nach der Lehre ebenfalls auf Montage. Die weite Welt entdecken.

Aber es kommt anders. Edi trifft seine grosse Liebe: Maddalena. Er nennt sie Nina. Wieso in die Ferne, wenn die Liebste so nah ist? Heirat, zwei Kinder. Familie, Arbeiten, Trottinettli.

Tochter Cristina hat ein Bild gemalt. Es hängt im Wohnzim- mer. Herzen, die immer kleiner werden, in der Mitte ein rotes, auf dem «Familie» steht. Für Edi ist die Familie alles. Er sei katholisch aufgewachsen, gehe aber nicht in die Kirche. Trotzdem nennt er Ehrlichkeit, Fairness und Nächstenliebe, wenn er die für ihn wichtigsten Werte aufzählt. Es sind für Edi die Grundvoraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben. Doch was er verkörpert, wird ihm häufig nicht entgegengebracht.

Ein Spaziergang mit Folgen

Tüftler seien bequeme Leute, sagt Edi. Er, der Mann vom Meer, liebte es, am Zürichsee zu flanieren. Seine Töchter meckerten bei den Sonntagsspaziergängen. Also nahm er die hausgemachten Trottinettli mit: ein giftgrünes mit dem Lenker eines Hometrainers für die 4-jährige Cristina, ein grösseres für Veronica, damals acht. Was vorher eintöniges Dahintrotten war, ist für die Kinder nun plötzlich grosses Kino. Am Zürcher Mythenquai fällt die Familie auf. Klar. Kickboards sind 1993 so fremd wie Smartphones.

Auch Wim Ouboter – Banker mit holländischen Wurzeln – staunt über die L’s, auf denen Cristina und Veronika am Zürichsee entlangschweben. Er spricht Nina an, Edi ist etwas weiter vorne. Ouboter überschüttet die Kickboards mit Komplimenten, Edi kommt dazu, auch ihn, den Tüftler, lobt er. Fragt, ob Edi ihm ein Exemplar konstruieren könne. Edi, eingelullt und gutmütig, muss nicht lange überlegen. Klar, er baue ihm eins, wieso auch nicht, für 150 Franken vielleicht, er müsse zuerst noch die Teile beschaffen. Wo Ouboter denn wohne? – In Küsnacht. – Ah, kein Problem. Dort sei er sowieso oft, er könne ihm das Trottinettli sogar nach Hause bringen.

Einige Jahre später wird Ouboter in Asien zu Spitzenzeiten 80’000 Micro-Scooter fabrizieren lassen. Pro Tag.

Im Quartier hätten ihnen alle nachgeschaut, erinnert sich Edis Tochter Veronica. Sie seien die Hauptattraktion in der Steig gewesen mit ihren Trottinettli. Das entging auch Edi nicht. Dafür müsse man kein Marketingfachmann sein. Er holte einen Kollegen von Sulzer ins Boot: Dani Gubler, sie haben sich lange nicht gesehen. Dani bog das Metall, Edi schweisste. Hand in Hand. Sie schmiedeten Pläne, wollten eine Garage mieten, schrieben Sportgeschäfte an. Beach Mountain in St.Gallen, die Firma Rollerblades. Doch niemand war interessiert. Die Trottinettli seien etwas für die Spielwarenabteilung. Es folgen kleine Aufträge. Zwei Kickboards für eine Kollegin von Cristina, gratis, die Eltern hatten ja kein Geld. Die Tage sind lang. Nach dem Feierabend kehrt Edi müde zur Familie zurück. Die Töchter werden älter. Auch ihr Interesse versandet. Ab dann spinnt Edi die Ideen lange nur noch im Kopf weiter. Er hat daran geglaubt, doch das reichte nicht.

Nicht die Art des feinen Mannes

Eines Tages drückt ein Kollege Edi eine «Schweizer Illustrierte» in die Hand. 7. August 2000, Nr. 32, die Prinzessinnen von Monaco lächeln von der Titelseite. Mittendrin ein Artikel, bei dem Edi noch heute stockt. Der Titel: «Heute ist meine Furzidee Millionen wert». Wim Ouboter wird als Erfinder des Kickboards gepriesen. Er erzählt, wie er auf dem Schrottplatz Teile zusammensuchte und so den Micro Scooter erfand. Der Mann, dem Edi vor ein paar Jahren eines seiner geliebtes Trottinettli nach Hause brachte, posiert in seiner Hängematte hoch über dem Zürichsee und sagt: «Hier kommen mir die besten Ideen».

«Alles gut», sagt Edi. Doch diese Sätze. Er verfällt in ironi- sches Hochdeutsch, zeigt auf seine Gurgel. Ich bin Portugiese. Ich habe Temperament. Denn was Ouboter als Furzidee bezeichnet, ist für Edi das Leben. Und was Ouboter erzählt, ist seine Geschichte, davon ist Edi überzeugt. Ouboter habe nichts falsch gemacht, sondern vieles richtig. Wenn er heute zum Arbeiten fahre und Kinder auf Micro Scooter sehe, bewundere er den Geschäftsmann. Er habe es geschafft, die Trottis bekannt zu machen. Aber dass Wim Ouboter seine Geschichte erzählt, bringt Edi zum Schäumen. «Das ist nicht die Art des feinen Mannes».

Ouboter hat einen Wirtschaftsabschluss, Marketingkenntnisse und Connections. Edi Schweissgeräte, seine Skizzensammlung und Dani Gubler. Im Jahr 2000, der Sternstunde des Kickboards, stellt Ouboter 10’000 Angestellte in insgesamt drei Fabriken ein. 20 Container voll mit Trottis verlassen China täglich.

Benjamin Baumgartner, 5, Montlingen
Einer dieser Micro Scooter landet bei Benjamin Baumgartner im Rheintal. Er wird in die «Generation Kickboard» hineingeboren. Als die ersten Kickboards auf den Markt kommen, ist Benjamin fünf Jahre alt und sagt wie tausende andere: «I nimms Kiki». Nur der Rhein trennt Montlingen von Österreich, und so spielt er im Lachenquartier das Zollspiel. Das Ziel: etwas an den Zöllnern – seinen Schulkameraden – vorbeizuschmuggeln. Was zu Fuss schon grossartig ist, macht mit dem Kickboard noch mehr Spass. Irgendwann starten die Kinder mit Kickboard-Rennen. Die Lachenstrasse bildet einen Kreis, etwa 300 Meter, ideale Rennstrecke, «rondomi», vorbei an Einfamilienhäusern und Hecken. Das Rennen wird zur Tradition am Quartierfest – und professioneller: Alterskategorien, Pokale, Helmpflicht. Auch verbissene Eltern wollen es wissen. Wenn die Sieger bestimmt sind, folgt die Siegerehrung auf Harassen. Dazu Rivella und Bepanthen für die Schürfwunden.

Edi kontaktiert Ouboter wegen dem Artikel. Der Stolz. Seine Frau hebt ab. Sie ist sehr anständig. Ihr Mann Wim sei gerade auf Reise im asiatischen Raum. Er rufe aber bald zurück. Keine Antwort. Edi versucht es wieder, schreibt einen Brief. Nichts. Da habe er sich nicht mehr gespürt. Entweder an die Medien gehen oder «Ouboter einen kleinen Besuch abstatten». Seine Partnerin Nina bittet ihn ersteres zu tun und zweiteres zu lassen. Edi schreibt dem «Kassen- sturz». Für die Aufzeichnungen muss er sich überwinden. Seine Welt sind die Jungs von Sulzer, das Tüfteln in der Werkstatt und Rollhockey. Nicht das Rampenlicht.

30. Januar 2001, «Kassensturz», Edi in blauem Overall bei Sulzer. Schnitt. Küsnacht, «Hochburg der Mikro-Mobilität», Wim Ouboter im Schneidersitz. Dieser sagt: Er habe damals vielen Leuten Kickboards abgekauft, um den perfekten Micro Scooter bauen zu können. Schade, dass Edi und Sulzer die Vermarktung verpasst hätten. Ein Artikel im «Tagi» folgt. Und etwas Trost. Viele Private schreiben Briefe und wollen ein Edi-Trottinettli. Das Landesmuseum in Zürich nimmt das Trotti von Veronica in seine Sammlung auf.

Benj Friant, damals 15, Montreux
Im Manor in Vevey kauft Benj Friant 2005 seinen ersten Micro Scooter. Er startet mit dem «Tale Wip». Springen, das Deck, auf dem er steht, um die eigene Achse drehen, landen. Direkt neben dem Skatepark Montreux geht Benj zur Schule. Hier kommt zum ersten Mal die ganze europäische Freestyle-Scooter-Szene für einen Contest zusammen. In zwei Runs à 1 Minute zeigen die Fahrer ihre Tricks. Eine Jury bewertet sie. «Big shit», findet Benj. Er filmt alles, analysiert die Fahrer in Slowmotion und übt im Park. Tagelang. Ein Jahr später gewinnt er den Contest. Und weiss noch nicht, dass er davon einmal leben kann. Die Kickboards sind damals für Schulkinder konstruiert, nicht für Freestyler. Regelmässig bersten sie. Benj verstärkt die Speichen mit Aluminium, verhindert den Bieg-Mechanismus. «Ugly as hell» hätten die Dinger dann ausgesehen. Dafür waren sie stabil. Alles andere als stabil war jedoch das Verhältnis zu den Skatern. Scooter-Kids zu mobben war Mode. Im Zürcher Skate Park habe es eine Liste gegeben. Ein Scooter- Kind schlagen: einen Punkt. Ein Scooter-Kind zum Weinen bringen: zwei Punkte. Ein Scooter-Kind so wütend machen, dass seine Eltern kommen: drei Punkte.

Beckham fährt Kickboard

Auch Edis Trottinettli-Traum war ein Sportgerät, kein Spielzeug. Er wendet sich an Red Bull. Skizziert seine Vision von einem Kickboard-Bergrennen, bei dem die Fahrer mit Integralhelm und Renn-Tenü die Kurven hinunterstürzen. Wenn Ouboter mit Micro Millionen macht, könnte ja auch für die Edi-Trottinettli etwas drinliegen. Eine Zusammenarbeit kommt nicht zustande, doch in seiner Werkstatt, Kellerabteil 16, experimentiert er weiter. Hier unter der Erde, wo es eng ist und das Licht nur schummrig, will er den Durchbruch scha en.

Draussen testet er seine neuen Trottinettli nie mehr. Zu gross wäre die Gefahr, dass ihm wieder jemand die Ideen abguckt. Also nimmt er sie, geht hinunter in die Tiefgarage und macht dort Probefahrten. Slalom um gelbe Säulen. Auch seine Töchter dürfen die neuen Entwicklungen nicht testen. Edi baute ihnen Ferraris, doch Ausfahrten gibt es keine. Noch heute sehen die Trottinettli wie neu aus.

Derweil verglüht die Sternstunde der Micro Scooter. Kopien überschwemmen den Markt. Der Hype pendelt sich ein. Micro bleibt aber Markt hrer, ist heute in 80 Ländern vertreten und entwickelt sich weiter: Rollkoffer mit ausklappbarem Kickboard, Elektromotor mit 25 km/h. Erwachsene werden eine wichtige Zielgruppe. David Beckham, Angelina Jolie und Novak Djokovic kickboarden. Auf einem Werbeplakat steigt ein Herr leger ins Tram ein. Sein Micro Scooter baumelt von der Schulter. Ein Rechner macht klar: Nimmt man das Kickboard anstatt die Füsse vom Bahnhof St.Gallen zum Markplatz, spart man jährlich eineinhalb Tage. Immerhin 144 Biere mit Freunden, so Micro. Kickboards gehören zu den «fahrzeugähnlichen Geräten», wie Inline-Skates oder das Skateboard. Hauptstrassen sind tabu. Nebenstrassen und das Trottoir die Heimat.

S., 44, Zürich
S. gibt Gas. Ein paar Fusstritte gegen den Boden. Und fährt vorbei an parkierten Autos, noch schnell unter der Bahnschranke hindurch, ehe sie über einen Schleichweg mit Pflastersteinen holpert. Der Griff vibriert, es zittert bis in die Ellbogen. Sie ist in Eile. S. ist Familienbegleiterin. Ihr rotes Kickboard hat sie mit dem Zug von Zürich nach Winterthur mitgenommen. Gratis. Hier düst sie von einem Problem zum nächsten. Die Flagge von England ziert die Lenkstange. Die seien damals früh an der EM ausgeschieden, worauf das Kickboard nur noch die Hälfte wert war. Zuerst gehörte es den Kindern. Jetzt nicht mehr. Ihr Trotti sei praktisch für die kurzen Distanzen. Die Bewegung sei etwas einseitig. Schräge Blicke gäbe es auch. Doch das stört S. nicht. Sie verschwindet in einem Haus, das wie ein amerikanisches Motel aussieht.

B., 51, Aadorf
Als B. aus dem Bus aussteigt, schlingert ihr Scooter, Modell «Hidroa Big Wheel», und touchiert beinahe einen kleinen Hund. Es ist früher Abend und ihr Arbeitstag als Reinigungsfachfrau beginnt. Sie putzt in einer Berufsschule und in einer Zahnarztpraxis. Den Weg meistert sie auf zwei Rädern. Einen Führerschein besitzt B. keinen. Und die Abfahrt von Aadorf zum Bahnhof hat sie im Griff – schon zehn Jahre ist sie ihrem Kickboard treu. Einmal, als sie einkaufen war, eine Tasche an jedem Griff , habe sie «beinahe ein Auto geküsst». Seither sei sie stets bremsbereit und nur noch auf dem Trottoir unterwegs. Wenn B. fertig gearbeitet hat und ihre Füsse schmerzen, wird sie nach Hause gleiten. Dem grauen Nachthimmel entgegen.

Keine Antwort vom Verkehrsmuseum

Edi sitzt entspannt auf seinem Sofa und zappt. 3. Juni 2016, «Tele Zürich», Life Style Magazin. Moderatorin Patrizia Boser sitzt in einem Elektromobil namens Microlino. Neben ihr Wim Outboter. Alles habe damit begonnen, dass er mit Schrott einen Scooter baute. Eine Furzidee. Frage an seine Frau: «Erfindet Wim zuhause auch immer alles neu?» Edi hat einen Kloss im Hals. Alles, was er verdrängen wollte, ist plötzlich wieder da. Jetzt will er einen Strich darunterziehen, «ich bin der Verlierer dieser Geschichte», sagt Edi erschöpft. Er schreibt nochmals Firmen an, Konkurrenten von Micro. Die eine leitete die Anfrage weiter – ins Nirwana. Bei der anderen ist nach einem Skype-Gespräch Schluss. Der Brite am anderen Ende der Leitung will sein Gesicht nicht zeigen. «Ein dreckiges Business», sagt Edi.

Benj Friant, heute 28, Winterthur
Es ist laut. Benj muss schreien, damit seine Schützlinge ihn am Mittwochnachmittag im Skills Park in Winterthur verstehen. Einmal in der Woche gibt er hier Kurse. «Freestyle Scooter Academy» nennt er sein Angebot. Davon, und von seiner Tätigkeit als Influencer, lebt er mittlerweile. Influencer. Er hasst den Begriff . Trotzdem: Foto mit dem Trotti für ein Sportgeschäft da, Video für ein Game dort. Für 50 Franken können Kinder in die Welt des Freestyle Scooters eintauchen. Mika und Joaquim, beide 10, träumen vom Salto. Doch auch sie müssen klein anfangen. «Yeah, endlich grinden», rufen sie und rennen sofort auf eine Holzrampe, beugen sich nach vorne und rutschen mit Hilfe von Benj hinab. Vans-T-Shirt, zerrissene Jeans, lange Haare unter dem Helm. Auch an diesem Nachmittag kommt es zum Streit zwischen Scooter-Kids und Skatern. Die Skater wollen keine Scooter-Fahrer
im Pool. Benj muss schlichten. Heute seien die Scooter-Kids in der Überzahl. «Fast in allen Parks sind es mehr als 80 Prozent», sagt Benj. Der Einstieg mit dem Kickboard falle leichter. Zudem sei die Mentalität anders. Weniger gangsterhaft. Später gibt Benj dann eine Privatlektion. Noé ist extra aus Yverdon angereist, um den «Flair» zu lernen. Den Trick hat er auf dem Youtube-Kanal von Benj gesehen. Auffahrt zur Halfpipe, Rückwärtssalto mit halber Drehung, Abfahrt. Die beiden üben mit Matratzen. Zeichnen den Anfahrtsweg mit Kreide ein. Doch Noé traut sich nicht. Irgendwann wird er es schaffen, davon ist Benj überzeugt.

Es ist Freitagabend, der Geburtstag von Edis Tochter. Sie holt ihn fürs Fest ab. Die schwebenden L’s, die Edi rief, ist er noch immer nicht los. Am liebsten würde er sie weitergeben. An einen Gleichgesinnten. Jemanden, der auch an den gesunden Menschenverstand glaubt und das Tüfteln liebt. Geld will er dafür keines.

Und ab und zu malt sich Edi eine Wanderausstellung aus. Orte, wo er das zeigen könnte, was ihn ausmacht. Seine Liebe. Seine Trottinettli.

Veröffentlicht im „Saiten“