Er sagt oft «Just relax» und hat sogar ein Szenario für den dritten Weltkrieg

Er sagt oft «Just relax» und hat sogar ein Szenario für den dritten Weltkrieg

Frank Häusler investiert Kundengelder im Wert von 18 Milliarden Franken. Seine Emotionen lässt er am Morgen beim Eingang der Bank Vontobel zurück. Unterwegs mit Mister Rational.

An einem normalen Tag trage er keine Krawatte, sagt Frank Häusler. Doch an diesem Morgen, 7 Uhr, noch vor dem Start der Börse, steht er weinrot beschlipst im eigenen TV-Studio der Bank Vontobel im Zürcher Enge-Quartier und schnäuzt sich immer wieder die Nase. «3 Minuten, 55 Sekunden» blinkt auf dem Display. «So Frank, bald gehts los.»
 
Frank Häusler, der Mathematiker und Banker, der Zahlen analysiert, sieht jetzt aus wie ein Moderator von TeleZüri. Das Thema seiner Morning-Show: Der Krieg in der Ukraine – und was er mit den Märkten macht. Also genauer gesagt mit den 18 Milliarden der Privatpersonen, Pensionskassen und Firmen, die Frank Häusler anlegt.

«15 Sekunden.» Nochmals schnäuzen. Ein Einspieler mit Balletttänzerin und Violinist (Präzision!). «Mein Name ist Frank Häusler. Ich bin Chief Investment Strategist bei Vontobel.»

Was in der nächsten halben Stunde folgt, ist ein wilder Powerpoint-Ritt zurück bis zum Fall der Sowjetunion. Frank Häusler moderiert den Livestream beschwichtigend wie ein Yogi. Hunderte seiner Kunden schauen zu. Krieg als Verschiebung von Linien in Diagrammen. Menschliche Tragödien als Faktor im Maismarkt. Russland als «makroökonomisches Leichtgewicht». 

«Klar ist es tragisch, was in der Ukraine passiert», sagt Häusler nach seinem Auftritt. «Aber ich darf mich nicht von Gefühlen leiten lassen. Das hat hier keinen Platz.»

Er mag Che Guevaras Reden

Eine Woche nach dem Livestream blickt Frank Häusler dann tatsächlich krawattenlos in seinen Curved-Bildschirm. Der Arbeitsplatz im Grossraumbüro passt zu seinem rationalen Arbeitsstil: Eine Tube Bepanthen und eine Schachtel Ricola sind das Persönlichste.

Jeden Morgen fährt der 44-Jährige mit Zug und Postauto von einem «bankerfreien» Dorf beim Pfäffikersee bis zur Vontobel. Gibt es keine News auf der Welt, die «seine» 18 Milliarden durchschütteln könnten, liest er ein Buch. Gerade stöbere er in den wichtigsten Reden des Jahrhunderts, sagt Häusler. Dass Che Guevara rhetorisch so brillant war, habe er nicht gewusst.

Am Tag, als der Krieg ausbrach, hatte er keine Zeit für Freizeitlektüre und am Abend auch keine Muse, noch Klarinette zu spielen. «Wow», dachte er da, sei aber nicht in Panik verfallen. «Wir konnten ja ahnen, was mit den Märkten passieren wird. Hier ‹jagoong› runter, dort ‹jagoong› rauf», sagt Häusler und zieht die Worte lang wie ein Comicheld. Das sei eine komplett rationale Angelegenheit. In den Meetings an diesem Tag sagte er oft: «Just relax.»

Mit seinem Team – gut 30 Ökonominnen, Mathematiker und Portfolio-Managerinnen – hat der Chief Investment Strategist dann Szenarien für den Krieg entworfen. Am ehesten vermutet Häusler zurzeit das «Krim-Szenario». Bei diesem übernimmt Russland die Separatistengebiete und wird längerfristig durch die Sanktionen isoliert. Häusler hat aber auch Strategien für ein Szenario ausgearbeitet, das Angst einjagt. «Dritter Weltkrieg» heisst es. Die Wahrscheinlichkeit schätzt Häusler auf fünf Prozent ein.

Keine Zigarren, kein Gelalle

Nach einem Investmentmeeting mit Kundenberatern, bei dem Häusler den Krieg erneut zum Diagramm seziert, warten Frauen in Businesshosen und Männer in Anzügen auf den Lift. Dem Stau ausweichen, also die Treppen hoch. Häusler, der im Juli den Zermatt-Berg-Marathon laufen will, nervt sich, weil er schnaufen muss. «Corona», sagt er.

Wieder an seinem Platz, öffnet er seine digitale Agenda, doch sie will nicht. «Mach mich nicht fertig», sagt er. Die Ungeduld sei seine grösste Schwäche. Dann öffnet sich ein Dokument, das aussieht wie ein stark fortgeschrittenes Tetris-Spiel. Das sei noch eine harmlose Woche, sagt Häusler. Die Highlights: Wein degustieren mit dem Team. Trip in ein Münchner Hotel, um potenzielle Kunden zu treffen. 

Und was macht Frank Häusler genau mit den 18 Milliarden, die er bereits verwaltet? Das sei schwer zu erklären, sagt er. Seine Antwort, als ihn eines seiner zwei Kinder dasselbe fragte: «Ich kaufe etwas, das mir aber nicht gehört. Und dann hoffe ich, dass der Wert steigt.» 

Um die Käufe und Verkäufe zu tätigen, braucht es nur einige Klicks. Aufreibender ist der Entscheidungsprozess im siebenköpfigen Investment-Committee. «Hört sich verstaubt an», sagt Frank Häusler. Aber das sei kein Ring von alten Männern, die in einem englischen Clubhaus Cohibas pafften. Er selbst sei mit seinen 44 Jahren einer der Ältesten. «Und wir hören einander zu, obwohl wir alle grosse Egos haben.»

Als der Arbeitskollege gegenüber das hört, muss er lachen. Aktienspezialist Stefan Eppenberger ist schon mehr als zehn Jahre bei der Vontobel. Als er anfing, hätten Patrons den exklusiven Zirkel dominiert und ihre Weltsicht erklärt. «Seit Frank hier ist, muss jedes Votum eine mathematische Beweisführung sein», sagt Eppenberger. Er könne kein Gelalle ertragen. Schweife jemand ab und wolle noch ein bisschen über Weizenpreise schwafeln, unterbinde sein Chef das sofort. Das irritiere manchmal. «Aber er ist so ziemlich der schlauste Mensch, den ich kenne», sagt Eppenberger. Vor den Weihnachtsferien habe Frank Häusler einen Artikel herumgeschickt, «etwas über Physik und das Weltall». Niemand im Team habe den Text auch nur ansatzweise verstanden. 

Anrufe von panischen Kunden

Vor dem Mittag hat Frank Häusler Sitzungen, bei denen kein Journalist dabei sein darf. Beim Fotoshooting macht er Sprüche («Es ist nicht schlimmer als beim Zahnarzt»), löscht in den Wartezeiten immer wieder Mails und erzählt von sich. Maximale Effizienz.

Frank Häusler wuchs in St. Gallen in einer Familie ohne Banker auf. Er studierte Mathematik an der ETH und programmierte Finanzmodelle. «Wenn ich eine Rezession besser als der Markt voraussagen konnte, war ich der ‹Hero›», sagt er. Ein Spiel, das Häusler gewinnen wollte. Immer schon.

Ein junger Kollege hat ihn kürzlich gefragt, wann sich der Markt dann mal endlich beruhige. «Du bist naiv», sagte ihm Häusler. Eurokrise, Corona, Ukraine-Krieg. Irgendetwas sei immer, und genau das mache den Job «megacool». Investieren sei ein tief kreativer Prozess. Um die Ereignisse der Weltgeschichte einzuschätzen, brauche es ihn als Menschen.

Als Menschen braucht es ihn momentan auch besonders in Gesprächen mit seinen Kundinnen und Kunden, denn diese sehen auf ihren Fondssparkonten gerade rote Zahlen. Wegen des Ukraine-Kriegs habe er viele Telefonate mit unruhigen Kunden geführt, sagt Häusler. Er müsse ihnen helfen, der Panik zu widerstehen und der langfristigen Strategie zu vertrauen. Etwa so könne das Gespräch verlaufen:

Kunde: Ich sehe nur noch negative News. Krieg. Inflation. Teure Benzinpreise. Warum investieren Sie nicht das ganze Geld in Gold?

Frank Häusler: Also. Gehen wir das mal durch. Wenn Sie wirklich an die maximale Katastrophe glauben, müssen Sie sofort alles verkaufen. Sie müssen an drei Orten auf der Welt, die möglichst weit auseinander liegen, ein Haus kaufen und dort Essen, Gold und Silber in kleinen Stückchen bunkern. Wir können Ihnen dabei helfen. Wollen Sie das?

Kunde: Nein. Sicher nicht. 

Er war selbst in Kiew

Wie fühlt es sich an, für 18 Milliarden verantwortlich zu sein?

Es ist ein riesiger Vertrauensbeweis meiner Kunden. Aber dieser Geldbetrag ist für mich auch sehr abstrakt. Ich jäte ja nicht Gartenbeete und habe dann zwei volle Grüntonnen. Ich sehe nur die Zahlen.

Ist es nicht absurd, so rational über den Krieg zu sprechen?

Klar sind Aktien im Vergleich zu Menschenleben banal. Aber ich habe Geld anvertraut bekommen. Und damit muss ich das Beste machen. In den Pensionskassen, deren Geld ich verwalte, stecken wir alle drin. Und in der Kaffeepause diskutieren meine Arbeitskollegen und ich ja auch, was der Krieg mit uns persönlich macht.

Wie wichtig ist Ihnen Geld im Privatleben?

Mir meine eigenen Finanzen anzusehen, befriedigt mich nicht. Auch Dinge zu besitzen, finde ich nicht wirklich spannend. Aber ich schätze, dass ich vieles tun kann, was ich liebe.

Vor drei Jahren war Frank Häusler mit Kindheitsfreunden in Kiew. «Die Swiss fliegt direkt. Wir brauchten kein Visum. Also let’s go.» Als er das erzählt, verlässt er im Kopf die Bank. Keines der Szenarien, die er zwei Reihen hinter dem Paradeplatz am Schreibtisch entwerfe, sei gut für die Welt, sagt er. «Aber halt realistisch. Das ist meine Aufgabe.»

Später, mitten in der Diskussion über die Emotionslosigkeit seines Jobs, macht er eine seiner seltenen Pausen und fragt: «Haben Sie Kinder?»

Seine beiden hätten ihm ein anderes Verständnis für Emotionen gegeben. «Ich sehe, wie schnell sie gross werden. Ich habe Gefühle für die Menschen, die mir am allerwichtigsten sind», sagt Frank Häusler. Der Markt hingegen sei einfach eine riesige Maschine, die er beobachte.

Heute will er das Büro so früh wie möglich verlassen.

Artikel im Tages-Anzeiger