Als wäre er Aussenminister
Der 32-jährige SP-Nationalrat schaffte es vom nachgerutschten Provokateur zum Stachel von Ignazio Cassis. Heute ist er Zürichs auffälligster Aussenpolitiker. Das kommt nicht bei allen gut an.
Wer «Schweiz» und «Taiwan» in die Google-Bildersuche tippt, stösst auf einen grinsenden Zürcher Oberländer. Molina, der die Hand von Präsidentin Tsai Ing-wen drückt. Molina, der von ihr in Taipeh ein Teeservice geschenkt bekommt. Molina, der Aussenpolitiker.
Eigentlich ist der 32-Jährige ein normaler Nationalrat – vor fünf Jahren nachgerutscht, zuvor Juso-Präsident. Doch wenn Molina während seines Besuchs in Taiwan vor das SRF-Mikrofon tritt, sich zum Staatsmann aufschwingt (was er oft tut) und die Demokratie verteidigt (was er auch oft tut), dann verhält er sich eher so, als wäre er Aussenminister.
Dem echten Aussenminister Ignazio Cassis hat Molina bei seiner Rückkehr aus Taiwan ein Messer aus Bombensplittern geschenkt, so erzählt er es. Das Verhältnis zwischen ihnen sei respektvoll, sagt Molina. Trotzdem kritisiert er ihn scharf: «Bei Cassis vermisse ich oft eine Linie, eine klare Haltung oder Mut», sagt Molina. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) kommentiert das nicht.
Fabian Molina versucht, das selbst erkorene Cassis-Vakuum zu füllen. Er löchert das EDA im Nationalrat mit Fragen: von Menschenrechtsverletzungen in Peru bis zur Straflosigkeit von Mahinda Rajapaksa, dem ehemaligen Premierminister von Sri Lanka. Er trifft Diplomatinnen zu persönlichen Gesprächen. Und er kauft sich selbst Flugtickets nach Taiwan und macht mit anderen Parlamentariern Staatsbesuche.
«Wieso riskieren Sie, China zu provozieren, Herr Molina?», fragte SRF nach der Reise im Februar. Molina verschafft das Aufmerksamkeit. Doch wichtige Aussenpolitikerinnen und -politiker kritisieren ihn. «Parlamentarische Diplomatie ist wichtig, doch ich habe Mühe, wenn solche Reisen medial derart vermarktet werden, dass sie vor allem das Heimpublikum erreichen», sagt Christa Markwalder (FDP). «Die Show versteht Fabian Molina super», sagt Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP). «Er hat sich instrumentalisieren lassen», sagt Franz Grüter (SVP). Molina sei kein Schatten-Aussenminister und habe weder das Alter noch das Charisma, um mit Gesprächen im Ausland wirklich etwas zu bewegen.
Trotz Schelte loben die drei Fabian Molina auch. Er sei ein Politfuchs und ein guter Redner, sagen sie. Er packe an und mache Knochenarbeit. Und er wisse, wann er sich zurückhalten müsse.
Ilhan Omar und Jean Ziegler als Vorbilder
In anderen Ländern sei es ganz normal, dass Parlamentarier Reisen machten, sagt Molina im Bundeshaus. Nicht so in der Schweiz. Das sei auch der Grund, warum er schnell einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht habe. «Nicht weil ich wahnsinnig brillant bin», sagt Molina, «sondern weil die grosse Mehrheit des Parlaments Aussenpolitik nur zweimal im Jahr für ein Foto schön findet.» Es sei hier ein «megaunterschätztes» Thema. Auch wenn sich der Bundesrat durch seine Alleingänge hintergangen fühle: «Politik wird immer internationaler», sagt Molina. Und: «Ich habe auch einen Eid geleistet.»
Seine Vorbilder: die Aktivistin Ilhan Omar aus den USA, die Gewalt mit Menschenrechten bekämpft. Und der 88-jährige Kapitalismuskritiker Jean Ziegler, der über den Welthunger geforscht hat. «Mick Jagger des Marxismus» hat die «Weltwoche» Ziegler einmal genannt. Molina war demselben Blatt ein Vergleich mit Che Guevara wert.
Vater war politischer Flüchtling
Wir haben Fabian Molina in den letzen Wochen begleitet. Beim Treffen in Bern Ende Februar ist Taiwan schon weit weg. Molina trägt eine gelb-blaue Krawatte und besucht am Abend eine Gedenkveranstaltung. Heute jährt sich der Krieg in der Ukraine. Er verlässt das Bundeshaus durch die Drehtür und zündet sich eine Zigarette an. Er macht das eigentlich immer, wenn er nach draussen geht. Direkt in die Aussenpolitische Kommission sei er gekommen, weil er für Ex-Diplomat Tim Guldimann nachrutschte, sagt Molina. Da habe er Glück gehabt. «Denn globale Gerechtigkeit hat mich schon immer mehr interessiert als die Baubewilligung für den Skatepark in Illnau-Effretikon.»
Molinas Vater war ein linker Aktivist in Chile und kam als politischer Flüchtling in die Schweiz. Molina wuchs «umgeben von konservativer Politik auf dem Land auf», wie er es in einem Wahlkampf-Video 2019 sagte. Frauen- und Ausländerfeindlichkeit hätten dazugehört. Das habe ihn «hässig» gemacht.
Mit 16 Jahren trat er den Juso bei und stellte fest: «Ich bin nicht ‹weird›. Andere denken auch so.» Im Gymnasium fühlte er sich von den Lehrpersonen bevormundet. Mit 19 wurde er der erste Juso-Gemeinderat von Illnau-Effretikon und schoss mit seinem ersten Postulat gegen die «arroganten Grossbanken» und ihre «dubiosen Geschäfte». Gemäss einem Protokoll dieser Gemeinderatssitzung wähnten sich die Lokalpolitiker «im Nationalrat». René Truninger, damals SVP-Gemeinderat, sagt heute: «Fabian hätte damals kein Bier mit mir getrunken und war sehr ideologisch.» Brigitte Röösli von der SP, 30 Jahre älter als Molina, sagt: «Ich konnte viel von Fabian lernen.» Und Molina selber sagt: «Ich war und bin manchmal immer noch verbissen.»
Mit 27 Jahren rutschte Molina zuerst in den Zürcher Kantonsrat und ein Jahr später in den Nationalrat nach. Sein Geschichtsstudium brach er ab. Er habe überlegt, es noch zu beenden, sagt Molina in Bern auf der Bundesterrasse. «Aber ich habe gerade keine Lust.» Längst ist er Berufspolitiker.
Später fahren Jeeps mit Diplomaten-Nummernschildern vor dem Yehudi Menuhin Forum in Bern vor, wo die Gedenkfeier für die Ukraine stattfindet. Molina und seine Freundin schauen sich vor der Feier die rot beleuchtete Fotoausstellung an. Tote Körper in Massengräbern. Zerbombte Einkaufszentren. Molinas gedämpftes Lachen mischt sich mit den Kriegssirenen, die als Klangteppich eingespielt werden. Hand schütteln hier. Hand schütteln da. Grissini und Rotwein.
Kaum ist die Gedenkfeier vorbei, schaltet Molina sofort wieder in den Aktionsmodus. Er stellt sich an, um mit der ukrainischen Botschafterin Irina Wenediktowa zu sprechen. «D Irina», nennt Molina sie und erzählt von einem früheren Treffen. Beim Warten schwärmt er auch von der Rede des US-Diplomaten Scott Miller. «Ich stehe manchmal auf dieses kitschige amerikanische Pathos», sagt Molina.
Zum Jahrestag des Krieges – und eigentlich immer, wenn auf der Welt etwas Unrechtes passiert – erstellt Fabian Molina Instagram-Posts und Tweets: früher Juso-Provokationen, jetzt staatsphilosophisch weise Zitate.
Manche seiner Wählerinnen und Wähler kennen den Nationalrat nur von Instagram. Türkei, Brasilien, Honduras – zu jedem Land hat Molina eine Meinung. Ist das noch glaubwürdig? Es sei nicht seine Aufgabe, Universalgelehrter zu sein, sagt er. «Aber wenn Menschen niedergeknüppelt werden oder verschwinden, muss ich kein Experte sein, um sagen zu können: Das geht nicht.»
Frustriert über die WG-Kündigung
Einen Monat später sitzt Fabian Molina in seinem Zürcher Büro am Schaffhauserplatz. Er teilt es sich mit einer Kollegin, die hier Paartherapie anbietet. «Ich bin ein Workaholic», sagt Molina. In der vergangenen Session hat er unter anderem für Sanktionen gegen den Iran gekämpft. Am Wochenende probte er für das neue Stück «Das Da Vinci Brot», das er mit seiner Theatergruppe aufführt. «Eine Komödie mit drei Nackten», steht auf dem Flyer.
Dann raus auf die Strasse. Zigarette. Am Abend spricht Molina in Zürich im «Karl der Grosse» über das «Vergessen der extremen Rechten». Eingeladen wurde er unter anderem, weil er im Februar vor einem Jahr an einer unbewilligten Antifa-Demonstration teilnahm und 300 Franken Busse zahlen musste.
Diese Woche hat seine WG am Helvetiaplatz die Kündigung erhalten. «Schisst mega a», sagt Molina. «Das ganze Haus wird luxussaniert.» Dann erzählt er, was ihn an der Stadt Zürich nervt. Es gäbe hier längst kaum Autos und dafür bezahlbare Wohnungen, wenn der konservative Kanton die Stadt nicht immer bremsen würde.
In Bern kümmert er sich kaum um solche Probleme. Weil es insgesamt acht Zürcher SP-Parlamentarierinnen gebe, könne er sich spezialisieren, sagt Molina. «Wir arbeiten im Team. Und wenn es der Bundesrat mit der EU verbockt, dann betrifft das Zürich sehr stark.» Am liebsten wäre ihm ein EU-Beitritt. Eine seiner beiden Zutrittsberechtigungen zum Bundeshaus hat er dem Generalsekretär der Europäischen Bewegung Schweiz gegeben.
Zum Podium im Karl der Grosse kommt Molina sehr knapp und unvorbereitet – und wird dann etwas nervös. «Die Junge Tat steht hinten», schreibt er dem Journalisten per Whatsapp. Später kommt es vor dem Lokal zu einer Auseinandersetzung zwischen Linksradikalen und Rechtsextremen.
Doch während der Diskussion ist alles ruhig. Als die Moderatorin zum ersten Mal das Wort nicht klar erteilt, grätscht er dazwischen und sagt: «Der Staat ist auf dem rechten Auge blind.» Er mischt Emotionen (Nazis an der Chilbi in Illnau) mit Eigenwerbung («habe einen Vorstoss eingereicht») und zitiert Adorno und das kommunistische Känguru.
Auf die Frage, warum er an der unbewilligten Antifa-Demo im Februar 2022 teilgenommen habe, lächelt Fabian Molina wie ein Kind, das beim Naschen von Weihnachtsguetsli erwischt wurde. Doch als sich in Zürich diesen April mehrere Hundert Linksextreme eine Strassenschlacht mit der Polizei liefern, sagt er dem «Blick»: «Die Betroffenen müssen mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden.» Es ist wohl die Zerrissenheit eines einstigen Juso-Provokateurs, der heute als Staatsmann wahrgenommen werden will. «Er muss aufpassen, dass er nicht vergisst, wo er politisch herkommt», sagt der heutige Juso-Chef Nicola Siegrist. Molina konzentriere sich stark auf seine Rolle als pragmatischer Aussenpolitiker.
Nach dem Podium, nach einer Zigarette, setzt Molina sich an die Bar, bestellt Gnocchi und kommt wieder auf Ignazio Cassis zu sprechen. «Er müsste nur einmal sagen: Das machen wir jetzt! Er könnte zum Telefon greifen, einen Staatspräsidenten anrufen, und es würde sich etwas bewegen.» Wer hingegen im Parlament Aussenpolitik mache, werde als Spinner wahrgenommen, sagt Molina. Die meisten Nationalrätinnen seien noch nie im EU-Parlament gewesen – «das ist doch komisch!»
Molina fliegt am nächsten Tag wieder nach Brüssel. Er trifft unter anderem den Slowaken Juraj Nociar, der in die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU involviert ist. Hoffentlich lohne sich der CO₂-Ausstoss des Fluges.
Und was will er in Zukunft? Da verhaspelt sich Fabian Molina im «Karl der Grosse» zum ersten Mal. Er nimmt einen Schluck Bier und sagt dann: «Wenn du in der Politik bist und sagst, du willst keine Macht, dann lügst du, oder du bist am falschen Ort.»