Für 5 Franken singt uns ein Pakistani beim Melken «Happy Birthday»

Für 5 Franken singt uns ein Pakistani beim Melken «Happy Birthday»

Auf Fiverr verkaufen Männer aus Ländern wie Marokko oder Pakistan persönliche Videogrüsse. Menschen in der Schweiz amüsieren sich – oder beschweren sich. Über einen Trend zwischen Jux und Rassismus.

«BESTELLE MICH JETZT». Das schreibt Zamann Baloch aus der pakistanischen Provinz Punjaab auf seinem Profil. Er liefert schnell. Zahlt jemand in der Schweiz knapp 5 Franken und nennt den Namen des Geburtstagskindes, legt Baloch sofort los. Wahlweise melkt er eine Kuh, setzt seiner Ziege eine Sonnenbrille auf oder stellt sich in ein Kornfeld. Dann filmt er sich mit seiner Full-HD-Kamera, singt Happy Birthday mit Akzent und gratuliert dem Geburtstagskind persönlich. Zwei Stunden später kommt das fertige Video in der Schweiz an.

Das perfekte Jux-Geschenk für jede Geburtstagsparty. Oder nicht?

3000 Anbieter aus aller Welt

Beliebt sind die personalisierten Gratulationen auf jeden Fall. Auf der Plattform Fiverr.com, wo Freelancer aus der ganzen Welt ihre Dienste ab 5 Dollar anbieten können, liefert eine Suche für Happy-Birthday-Videos knapp 3000 Treffer. Anbieter sind vor allem junge Männer aus Entwicklungsländern: Ein Nigerianer shampooniert sich in der Dusche ein und gratuliert. Ramesh Krishan aus Sri Lanka klebt sich das Bild des Jubilars auf die haarige nackte Brust und macht bei Bedarf einen verrückten Tanz. 

Schaut man sich die Kommentare an, wird klar: Gekauft werden die Videos vor allem von Europäerinnen und Amerikanern. Jason aus den USA schreibt etwa: «We used Ramesh in more than six different videos for birthdays of friends and he always does such a great job.»

«Used» heisst benutzt – und genau dort liegt das Problem. Amnesty International und Ethiker kritisieren Fiverr und die Kundschaft, die solche Videos bestellen. Eine ökonomische Machtposition werde ausgenutzt, um die Video-Produzenten zu instrumentalisieren. Ausserdem würden in den Grussbotschaften zum Teil rassistische Klischees bedient.

Doch was sagen die Männer, die «Happy Birthday» singen, selber?

Fiverr löscht Profile

Mit ihnen zu kommunizieren, ist schwierig. Zwar schreiben die Anbieter innert Sekunden zurück, doch sie wollen keine Fragen beantworten, sondern Geld verdienen. «Tell me your budget my friend so we can move further», schreibt einer. Zuerst bestellen, sonst geht nichts.

Zamann Baloch aus Pakistan ist einer der Einzigen, die sich etwas Zeit nehmen. Der 29-Jährige schreibt, dass er verheiratet sei und eine Tochter habe. Am Shiblee College of Commerce in der Stadt Faisalabad hat er 2012 seinen Bachelor abgeschlossen. Jetzt wohnt er auf dem Land und züchtet Vieh. Seit zwei Jahren bietet er zusätzlich Videos auf Fiverr an. Social Media und Freunde hätten ihn dazu inspiriert, schreibt Baloch.

Manchmal bekomme er fünf Bestellungen pro Tag, manchmal auch nur eine. 245 Kunden haben ihn schon bewertet. Fiverr zieht laut eigenen Angaben 20 Prozent Gebühr pro Auftrag ab. Zamann Baloch hat mit seinen Geburtstagsgrüssen also schon mindestens 1000 Franken verdient. In Pakistan, wo das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen um die 1500 Franken beträgt, ist das viel Geld.

So argumentiert auch die israelische börsenkotierte Tech-Firma Fiverr, die 2021 298 Millionen Dollar umgesetzt hat und sich als «Amazon der Arbeit» bezeichnet. Neben Geburtstagsvideo-Produzenten bieten etwa Website-Programmierer, Wahrsagerinnen oder Musikproduzentinnen auf der Plattform ihre Dienste an.

«Fiverr erlaubt Menschen auf der ganzen Welt, ihr Business aufzubauen und ihre Träume zu leben», schreibt eine Sprecherin. Die Plattform gehe mit einem Safety-Team und Algorithmen streng gegen Anbieter vor, die sich nicht an die Regeln halten. Hatespeech und Diskriminierung von Ethnien, Rasse und sexueller Orientierung würden nicht geduldet.

Das Profil des duschenden Nigerianers und des entblössten Ramesh Krishan hat Fiverr gelöscht, nachdem diese Zeitung die Firma darauf aufmerksam machte. Die Gratulationen des pakistanischen Landwirts Zamann Baloch würden nicht gegen die Richtlinien verstossen, schreibt Fiverr. Er filmt sich weiterhin beim Melken und Singen.

Der Schweizer Komiker Patrick «Karpi» Karpiczenko hat privat und für Comedy-Produktionen schon oft mit Freelancern auf Fiverr zusammengearbeitet: mit rumänischen Grafikern, amerikanischen Trump-Imitatoren und mit Geburtstagsvideo-Filmern aus aller Welt. «Freunde, die Fiverr nicht kannten, sind wegen der Videos aus allen Wolken gefallen», sagt er. «Bist du dorthin gereist?», fragten sie ihn und waren verwirrt. Das schlechte Englisch, die auswendig gelernten Texte und die freaky Ästhetik sorgten zusätzlich für Lacher.

Karpi sagt, es sei genial und crazy, von Zürich aus so einfach mit Menschen aus der ganzen Welt zusammenarbeiten zu können. Ein Afrikaner, der im Bastrock gratuliere, fände er persönlich aber unlustig. Noch problematischer als der Rassismus, der in den Videos mitschwingt, beurteilt er die Arbeitsbedingungen auf Fiverr.

«Die Freelancer müssen immer erreichbar sein und sind von der Plattform abhängig.» Ein einziger schlechter Kommentar könne ihr Geschäft zerstören. Gig Economy nennt sich diese Form von Arbeit, bei der Selbstständige kleine Aufträge übernehmen. «Man könnte es auch einfach Ausbeutung nennen», sagt Patrick  Karpiczenko. Er selbst beruhige sein schlechtes Gewissen jeweils, indem er den Freelancern mehr zahle, als sie verlangten.

Knapp drei Milliarden Offline-Menschen

Von Ausbeutung spricht auch Felix Gnehm, der Direktor der NGO Solidar Suisse, die sich für faire Arbeit einsetzt. Firmen wie Fiverr nutzten rechtsfreie Räume aus und zahlten oft keine Sozialabgaben. Klar könnten sich Menschen in Schwellenländern mit Geburtstagsvideos ihr Einkommen aufbessern und erste Geschäftserfahrungen machen. Aber die Jugendarbeitslosigkeit werde durch dieses Mikro-Business nicht behoben. Auf der Welt gebe es immer noch knapp drei Milliarden Offline-Menschen. «Und junge Menschen wollen eigentlich einen nachhaltigen Job und nicht ein paar Batzeli für ihre Videos», sagt Felix Gnehm.

Auch Amnesty International beurteilt die Videos kritisch. Teilweise werde eine fremde und exotische Kultur lächerlich gemacht und so Rassismus zementiert.

«Die Menschen müssen sich für uns zum Clown machen», sagt auch Peter G. Kirchschläger, ein renommierter Ethikprofessor, der schon an der Yale-Universität forschte und jetzt an der Uni Luzern doziert. «Warum finden wir einen pakistanischen Ziegenhirten lustig?» – Genau diese Frage müssten sich die Käuferinnen solcher Videos selbstkritisch stellen. Für Kirchschläger haben die Videos auf Fiverr einen kolonialistischen Anstrich, Vorurteile und Stereotypen spielten eine Rolle. «Und doch ist nicht jeder, der ein solches Video kauft, ein Rassist», sagt der Ethiker.

Vor allem sieht er auch die Politik in der Verantwortung. Es brauche eine globale Zulassungsbehörde bei der UNO, die Dienstleistungen im Internet auf Menschenrechtsverletzungen und ökologische Auswirkungen überprüfe. «Momentan kann man im digitalen Bereich fast alles auf den Markt werfen», sagt Kirchschläger.

Viel entspannter beurteilt Soziologie-Professorin Katja Rost von der Universität Zürich die Videos. «Meine Moral ist nicht deine Moral», sagt sie. Gerade beim Humor müsse man verschiedene Wertepositionen akzeptieren können. In ihrem humorlosen linken Uni-Kreis würde wahrscheinlich niemand über Gratulationen aus der pakistanischen Pampas lachen. Am Stammtisch aber sehr wohl – und das sei auch gut so. «Meinungsfreiheit», sagt Rost. Es bringe nichts, solche Videos zu verbieten. «Die Gesellschaft findet selbst Lösungen, wenn sie etwas nicht mehr goutiert.» So würde sich heute während der Fasnacht fast niemand mehr als Indianer verkleiden. Vor zehn Jahren war dies noch eher möglich.

Witze über vulgäre Inder

Damals trat Komiker Viktor Giacobbo auch noch als Inder Rajiv auf, sprach schlechtes Englisch und war dabei oft vulgär. Dem «Blick» sagte er vor zwei Jahren: «Ich würde diese Figuren nicht mehr spielen.» Die Zeiten und Umstände hätten sich geändert.

Satiriker-Kollege Mike Müller findet, dass jeder selbst wissen müsse, ob er über diese Persiflage lachen wolle. Zum ersten Mal ein Fiverr-Video gesehen hat er, als ihm Patrick Karpiczenko ein Dankesvideo mit einem Video-Produzenten aus dem Ausland schenkte. «Ich hatte keinen Schimmer, wie man so etwas macht, und fand es huere lustig», sagt er am Telefon. Seit Müller weiss, dass es nur ein paar Franken braucht, ist für ihn der Witz weg. Grosse ethische Probleme sieht er aber nicht, sofern die Leute nicht gezwungen werden. 

«Vielleicht sind diese Geburtstagsgrüsse für einige Menschen die einzige Möglichkeit, um den Kindern Babypulver von Nestlé zu kaufen, weil Nestlé das Wasser zur Sau gemacht hat», sagt Müller. Er wäre sehr zurückhaltend mit moralischen Urteilen. «Nur schon wenn wir einen Computer verwenden, haben wir Dreck an den Pfoten.» Wir seien halt weisse privilegierte Menschen. Die Videos personalisierten lediglich den globalen Handel. 

An diesem nehmen auch Omar und Hassan aus Merzouga in Marokko teil. «Ich werde mit Kamelen in der Sahara alles sagen, was Sie wollen», schreiben sie auf Fiverr. «Wüstenmenschen» nennen sie sich. In ihren Videos hauen sie auf eine kleine Trommel und singen «Happy Birthday». Dazu tragen sie traditionelle Kleider und einen Turban auf dem Kopf.

Im Chat auf Fiverr schreibt Omar, dass er 18 Jahre alt sei und noch bei seinen Eltern wohne. Sein Kollege Hassan mache mit Touristen Kamel-Trekkings. Zuerst boten sie Photoshop-Dienste an, doch dort hätten sie nicht viele Aufträge erhalten. Mit den Geburtstagsvideos laufe es besser. «Mit dem verdienten Geld kaufe ich Kleider und Essen», schreibt Omar. Sein grösstes Ziel sei es, Programmieren zu lernen und fliessend Englisch zu sprechen.

Text im Tages-Anzeiger